Die Kane-Chroniken – Der Schatten der Schlange
besser, denn die anderen Mädchen drehten sich nach ihm um und starrten ihn an, als er mich durch die Menge führte.
Ich war froh, dass Anubis mich am Arm hielt. Meine Gefühle waren ein solches Chaos, dass mir schwindlig wurde. Ich war unglaublich froh, dass er da war. Ich fühlte mich zwar entsetzlich schlecht, weil der arme Walt allein zu Hause war, während ich Arm in Arm mit Anubis herumspazierte, aber ich war auch erleichtert, dass Walt und Anubis nicht beide da waren. Das wäre mehr als peinlich gewesen. Dass ich erleichtert war, flößte mir noch mehr Schuldgefühle ein und so weiter. Götter Ägyptens, ich stand völlig neben mir.
Als wir in der Mitte der Tanzfläche ankamen, wechselte die Band plötzlich von einer Tanznummer zu einer Liebesballade.
»Hast du was damit zu tun?«, fragte ich Anubis.
Er lächelte, was eine ziemlich dürftige Antwort war. Er legte eine Hand auf meine Hüfte und nahm wie ein richtiger Gentleman meine andere Hand. Wir wiegten uns im Takt.
Den Ausdruck »auf Wolke sieben schweben« kannte ich natürlich, aber es dauerte ein paar Schritte, bis ich begriff, dass wir tatsächlich schwebten – ein paar Millimeter über dem Boden, nicht so hoch, dass es irgendjemand bemerkt hätte, doch gerade hoch genug, dass wir über die Steine glitten, während andere stolperten.
Ein paar Meter weiter ließ sich Carter ziemlich verlegen von Lacy beibringen, wie man eng umschlungen tanzte. [Also echt, Carter, es ist keine Quantenphysik.]
Ich sah auf Anubis’ warme braune Augen und seinen wunderschönen Mund. Er hatte mich einmal geküsst – an meinem Geburtstag, letzten Frühling – und ich war nie so richtig darüber hinweggekommen. Man sollte annehmen, dass ein Totengott kalte Lippen hat, aber dem war absolut nicht so.
Ich versuchte, einen klaren Kopf zu behalten. Anubis’ Kommen hatte sicher einen Grund, trotzdem fiel es mir schwer, mich zu konzentrieren.
»Ich dachte … ähm«, würgte ich heraus und schaffte es gerade noch, mich nicht vollzusabbern.
Oh, prima, Sadie, dachte ich. Wir versuchen es jetzt mal mit einem vollständigen Satz, ja?
»Ich dachte, du könntest nur an Orten auftauchen, die mit Tod zu tun haben«, sagte ich.
Anubis lachte leise. »Dieser Ort hier hat mit Tod zu tun, Sadie. Die Schlacht von Brooklyn Heights, 1776. Genau hier, wo wir jetzt tanzen, sind Hunderte von amerikanischen und britischen Soldaten gestorben.«
»Wie romantisch«, brummte ich. »Dann tanzen wir also auf ihren Gräbern?«
Anubis schüttelte den Kopf. »Die meisten von ihnen erhielten nie ein ordentliches Begräbnis. Deshalb wollte ich dich hier besuchen. Diese Geister können, genau wie eure Initianden, auch mal ein bisschen Ablenkung vertragen.«
Plötzlich wirbelten Geister um uns herum – leuchtende Erscheinungen in Kleidern des achtzehnten Jahrhunderts. Einige trugen die rote Waffenröcke der britischen Soldaten. Andere bunt zusammengewürfelte Uniformen. Sie drehten Pirouetten mit weiblichen Geistern in einfachen Bauerntrachten oder eleganter Seide. Ein paar der herausgeputzten Damen hatten Lockengebirge auf dem Kopf, bei deren Anblick sogar Drew neidisch geworden wäre. Die Geister schienen zu einem anderen Lied zu tanzen. Als ich die Ohren spitzte, konnte ich schwach Geigen und ein Cello hören.
Keiner der normalen Sterblichen bemerkte die geisterhafte Invasion. Selbst meine Freunde aus dem Brooklyn House bekamen nichts mit. Ich beobachtete, wie ein Geisterpaar mitten durch Carter und Lacy hindurchtanzte. Während Anubis und ich tanzten, schien die Hochschule für Hochbegabte zu verblassen und die Geister wurden wirklicher.
Ein Soldat hatte eine Schusswunde von einer Muskete in der Brust. Einem britischen Offizier steckte ein Tomahawk in der gepuderten Perücke. Wir tanzten zwischen den Welten, drehten uns Seite an Seite mit lächelnden, grausig niedergemetzelten Phantomen. Anubis hatte es echt raus, wie man einem Mädchen einen romantischen Abend bereitet.
»Du machst es schon wieder«, sagte ich. »Mich aus dem Takt bringen oder wie immer du das nennst.«
»Ein bisschen«, räumte er ein. »Aber ich muss ungestört mit dir reden. Ich habe dir versprochen, dass ich dich persönlich besuche –«
»Und du hast dein Versprechen gehalten.«
»– aber das wird Ärger geben. Vielleicht ist es das letzte Mal, dass ich dich besuchen kann. Es gibt Gemurre über uns.«
Ich kniff die Augen zusammen. Wurde der Gott der Toten etwa rot?
»Über uns«, wiederholte
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