Die Kane-Chroniken – Der Schatten der Schlange
goldene Skarabäuskette. »Du meinst Ramses den Großen?«
Setnes Mund verzog sich zu einem grausamen höhnischen Lächeln. »Ja, den Titel hat ihm die PR-Abteilung verpasst. Ich nannte ihn lieber Ramses II. oder Ramses Nummer zwei.«
»Ramses?«, fragte ich. »Dein Vater ist der Ramses?«
Darüber, wo Setne in der ägyptischen Geschichte einzuordnen war, hatte ich noch nicht weiter nachgedacht. Wenn ich mir diesen dürren kleinen Kerl mit seiner Schmalztolle, dem Sakko mit den Schulterpolstern und dem albernen Klunker so ansah, konnte ich nicht glauben, dass er mit einem so berühmten Herrscher verwandt war. Noch schlimmer, er war dadurch mit mir verwandt, denn die Familie meiner Mutter führte ihr magisches Erbe auf Ramses den Großen zurück.
(Sadie behauptet, eine Familienähnlichkeit zwischen Setne zu mir zu erkennen. [Klappe, Sadie.])
Vermutlich gefiel es Setne nicht, dass ich überrascht war. Er hielt die Hakennase hoch. »Gerade du, Carter Kane, solltest doch wissen, wie es ist, wenn man im Schatten eines berühmten Vaters aufwächst. Ständig versucht man, seinem legendären Ruf gerecht zu werden. Schau dich doch an, Sohn des großen Dr. Julius Kane. Endlich machst du dir einen Namen als Supermagier und was tut dein Vater? Er verschwindet und wird ein Gott!«
Setne lachte kalt. Ich hatte meinem Vater gegenüber noch nie Missgunst verspürt, sondern es immer cool gefunden, Dr. Kanes Sohn zu sein. Doch Setnes Worte überrumpelten mich und in meiner Brust machte sich Wut breit.
Er spielt mit dir , warnte mich Horus’ Stimme.
Auch wenn ich wusste, dass Horus Recht hatte, fühlte ich mich deshalb nicht besser.
»Wo ist denn nun das Buch, Setne?«, fragte ich. »Wir warten schon lange genug.«
»Verbieg dein Zaubermesser nicht, Kumpel. Es wird nicht mehr lange dauern.« Er blickte zu dem Deckenbild von Osiris. »Da ist er ja. Der Blaue höchstpersönlich. Glaub mir, Carter, du und ich, wir haben eine Menge gemeinsam. Ich kann in Ägypten auch nirgendwohin gehen, ohne dass ich das Gesicht meines Vaters sehe. Abu Simbel? Da steht Papa Ramses und funkelt mich böse an – vier Statuen von ihm, jede über zwanzig Meter hoch. Es ist ein Albtraum. Die Hälfte aller Tempel in Ägypten? Er hat sie in Auftrag gegeben und Statuen von sich aufstellen lassen. Ist es da verwunderlich, dass ich der größte Magier aller Zeiten werden wollte?« Er plusterte die Hühnerbrust auf. »Und das habe ich auch geschafft. Was ich nicht verstehe, Carter Kane: Warum hast du den Thron des Pharaos noch nicht für dich beansprucht? Du hast Horus auf deiner Seite, der nach Macht lechzt. Du solltest dich mit dem Gott vereinen, Pharao werden und die Welt beherrschen und, ähm …« Er tätschelte die Apis-Statue. »Den Stier bei den Hörnern packen.«
Er hat Recht , sagte Horus. Dieser Mensch hat Verstand.
Entscheide dich, schoss ich zurück.
»Carter, hör nicht auf ihn«, sagte Zia. »Setne, was immer du im Schilde führst – lass es. Sofort.«
»Was soll ich denn im Schilde führen? Pass auf, Püppi –«
»Hör auf, mich so zu nennen!«, sagte Zia.
»Hey, ich steh auf eurer Seite«, beteuerte Setne. »Das Buch befindet sich hier im Podest. Sobald sich der Stier bewegt –«
»Der Stier bewegt sich?«, fragte ich.
Setne kniff die Augen zusammen. »Hab ich das nicht erwähnt? Die Idee kam mir beim Sedfest, das wir damals gefeiert haben. Unglaublicher Spaß! Warst du jemals bei diesem Stierlauf in, wo doch gleich, Spanien?«
»Pamplona«, sagte ich. Die nächste Welle von Groll überkam mich. Dad hatte mich einmal mit nach Pamplona genommen, mich dann aber nicht auf die Straße gelassen, während die Stiere durch die Stadt stürmten. Angeblich war es zu gefährlich – als wäre sein geheimes Leben als Magier nicht viel gefährlicher.
»Richtig, Pamplona«, sagte Setne. »Na, und weißt du, woher dieser Brauch stammt? Ägypten. Der Pharao lief dieses rituelle Rennen mit dem Apis-Stier, um seine königliche Macht zu erneuern, seine Stärke unter Beweis zu stellen, um den Segen der Götter zu erhalten – der ganze Blödsinn. Später verkam der Wettlauf zum Affentheater ohne wirkliche Gefahr. Am Anfang war jedoch alles echt. Leben und Tod.«
Beim Wort Tod bewegte sich die Stierstatue. Sie streckte steif die Beine. Dann senkte sie den Kopf, sah mich böse an und rotzte eine Staubwolke heraus.
»Setne!« Ich wollte nach meinem Schwert greifen, das natürlich nicht da war. »Halt das Ding auf oder ich sorge dafür,
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