Die Kane-Chroniken – Der Schatten der Schlange
zu bereiten. Das hätte mich eigentlich freuen sollen, stattdessen machte es mir Sorgen. »Dieser Lotusgeruch … hast du was getrunken?«
»Mit mir ist alles gut.« Er sah weg. »Wir teilen uns besser auf und versuchen es noch mal.«
Ich machte mir deshalb nicht weniger Sorgen, aber er hatte Recht. Es war keine Zeit zum Plaudern. Wir sprangen beide vom Baum herunter und rannten in entgegengesetzte Richtungen.
Die Sonne berührte schon fast den Horizont. Ich schöpfte Hoffnung. Wir mussten bestimmt nicht mehr lange durchhalten.
Um Haaresbreite wäre ich in ein weiteres Makrameenetz gestolpert, doch glücklicherweise war ich auf der Hut vor Neiths kunstgewerblichen Projekten. Ich wich der Falle aus, kämpfte mich durch eine Gruppe Papyruspflanzen und stand plötzlich in Neiths Tempel.
Die goldenen Tore standen offen. Die breite sphingengesäumte Straße führte geradewegs in den Komplex hinein. Keine Wächter … keine Priester. Vielleicht hatte Neith sie alle umgebracht und ihre Hosentaschen eingesammelt, vielleicht waren sie ja auch alle unten im Bunker und bereiteten sich auf eine Zombieinvasion vor. Der letzte Ort, an dem Neith nach mir suchen würde, war vermutlich ihr eigener Tempel.
Hmm. Außerdem hatte Taweret Bes’ Schatten auf diesen Wällen gesehen. Wenn ich den Schatten ohne Neiths Hilfe fand, noch besser.
Ich rannte auf die Tore zu, wobei ich die Sphingen misstrauisch beäugte. Keiner von ihnen erwachte zum Leben. Im großen Innenhof standen zwei Obelisken mit Goldspitzen. Dazwischen starrte eine Statue von Neith in altägyptischer Tracht finster vor sich hin. Zu ihren Füßen waren Schilde und Pfeile wie Kriegsbeute aufgetürmt.
Ich suchte die Hofmauern ab. Mehrere Treppen führten auf die Wälle. Die untergehende Sonne warf zahlreiche lange Schatten, aber ich konnte keine eindeutigen Zwergsilhouetten ausmachen. Taweret hatte vorgeschlagen, ich solle nach dem Schatten rufen. Ich wollte es schon ausprobieren, da hörte ich in Gedanken Walts Stimme: Sadie!
Es ist furchtbar schwer, sich zu konzentrieren, wenn das Leben eines anderen von einem abhängt.
Ich umklammerte das Schen -Amulett und murmelte: »Komm schon. Komm schon.«
Ich stellte mir vor, wie Walt neben mir stehen würde, bevorzugt ohne einen Pfeil im Körper. Ich blinzelte – und da war er. Er warf mich mit seiner Umarmung fast um.
»Sie – sie hätte mich umgebracht«, keuchte Walt. »Aber sie wollte zuerst reden. Sie meinte, unser Trick gefalle ihr. Sie wäre stolz darauf, uns niederzumetzeln und unsere Hosentaschen zu nehmen.«
»Toll«, sagte ich. »Teilen wir uns wieder auf?«
Walt spähte über meine Schulter. »Sadie, schau mal dort.«
Er deutete auf die nordwestliche Ecke der Mauern, wo ein Turm aus den Wällen ragte. Als sich der Himmel rot färbte, verschwanden allmählich die Schatten von der Wand, einer blieb jedoch zurück – der Umriss eines kleinen stämmigen Mannes mit krausem Haar.
Unser Plan war mit einem Mal vergessen. Gemeinsam stürmten wir zur Treppe und kletterten die Wand hoch. Innerhalb kürzester Zeit standen wir auf der Brüstung und starrten Bes’ Schatten an.
Wir standen vermutlich genau an der Stelle, an der Taweret und Bes in jener Nacht Händchen gehalten hatten. Bes hatte die Wahrheit gesagt – er hatte seinen Schatten in diesem Tempel zurückgelassen, damit er glücklich sein konnte, auch wenn Bes selbst es nicht war.
»Oh, Bes …« Mein Herz fühlte sich an, als würde es zu einem Wachs-Uschebti zerschmelzen. »Walt, wie fangen wir ihn ein?«
Eine Stimme hinter uns sagte: »Überhaupt nicht.«
Wir drehten uns um. Ein paar Meter weiter stand Neith auf dem Wall. Zwei Pfeile waren in ihren Bogen gespannt. Aus dieser Entfernung konnte sie uns problemlos gleichzeitig niederstrecken.
»Netter Versuch«, räumte sie ein. »Aber ich gewinne immer.«
14.
Wir amüsieren uns mit gespaltenen Persönlichkeiten
Ein super Zeitpunkt, um Isis herbeizurufen?
Vielleicht. Doch selbst wenn Isis geantwortet hätte, bezweifle ich, dass es mir gelungen wäre, irgendeine Zauberkraft schneller herbeizurufen, als Neith zielen konnte. Und selbst für den unwahrscheinlichen Fall, dass ich die Jägerin tatsächlich geschlagen hätte, hätte Neith mich vermutlich der Schummelei bezichtigt, weil ich die Macht einer anderen Göttin gegen sie eingesetzt hatte. In ihren Augen war ich bestimmt ein Teil der Russen-/Zombie-/Steuereintreiberverschwörung.
So durchgeknallt Neith auch war, wir brauchten ihre
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