Die Kanonen von Dambanor II
Glauben. Die Götter. Die Fundamente des Seins selbst. Den Grund der Existenz.
»Es wäre jetzt nicht schlecht, ein paar fromme Devotionalien im Laderaum zu haben!«, meinte Nebos. »Die würden jetzt wahrscheinlich mehr als alles andere bringen. In Yshan wird man die Monde schließlich auch gesehen haben, und in den anderen Reichen war man ohnehin immer sehr viel gläubiger als in den Städten der Seekönige!«
»Sie sind ein Zyniker, Nebos.«
»Das mag sein.«
»Ist Ihnen eigentlich gar nichts heilig?«
Nebos' gespaltene Zunge zuckte hervor und wischte über den aufgesprungenen Rand des lippenlosen Echsenmauls. »Ich sehe, was Sie sehen, Bedros. Und ich sehe auch, dass nichts so sein wird wie zuvor. Aber ich sehe auch, welche Geschäfte sich daraus in der Zukunft ergeben … Für Sie übrigens auch!«
Nein , dachte Bedros. Wenn die Götter zurückkehren, wie es in der Schrift heißt, dann muss alles neu bewertet werden, auch das eigene Leben. Nichts kann bleiben, wie es war.
Als die PARALA in Yshan einlief, leuchteten die Monde immer noch in den faszinierendsten Farben. Kaum jemand an Bord machte noch seine Arbeit. Stattdessen wurde viel gebetet und viel darüber nachgedacht, ob die Zeit des Gerichts gekommen sei.
Selbst der Koch kam seiner Aufgabe nur schlecht nach, aber Appetit hatte ohnehin niemand.
In Yshan waren die Straßen voll von weiß gewandeten Pilgern. Die Gheroor hatten in großen Massen das Büßergewand angelegt.
Die Stadt war im Ausnahmezustand.
Nebos begann zu dämmern, dass es diesmal wohl schwieriger werden würde, Geschäfte zu machen. In der ganzen Stadt schien niemand daran interessiert zu sein.
Das Schlimmste war, dass es keine Arbeiter im Hafen gab, die bereit gewesen wären, das Salz zu verladen, das Nebos an Bord zu nehmen und nach Soroba zu bringen gedachte.
Und vielleicht werde ich sogar auf einen Teil der Besatzung verzichten müssen , ging es dem Handelsherrn durch den Kopf, denn auch Kapitän Bedros hatte sich unter die Gläubigen gemischt. Er trug zwar kein weißes Büßergewand, aber dafür hörte er den zahllosen Predigern zu, die jetzt wieder offen auftraten, ohne dass sie fürchten mussten, verspottet zu werden.
Nebos ließ sich durch die Straßen der Stadt treiben, die voller Gheroor in weißen Gewändern waren, die lautstark Gebete zischten und mit Nasenzäpfchenvibrato in höchstem Tremolo rezitierten. Ein Klangteppich erfüllte die ganze Stadt. Musik des Glaubens – so nannte das heilige Buch der sieben Mondgötter diese Form gemeinschaftlicher religiöser Ekstase.
Nebos hatte in seiner Jugend Geschichten von den Alten darüber gehört. Geschichten, die bereits diese Alten nicht selbst erlebt, sondern nur erzählt bekommen hatten.
Für Nebos waren diese Erzählungen nicht realer gewesen als solche über Schreckgestalten, die man gegenüber den Eischlüpflingen zum Besten gab, um ihnen Angst zu machen und sie dadurch zu disziplinieren.
Es muss eine natürliche Erklärung für diese Farb-Phänomene geben! All die Außenwelten, von denen die Fremden stammen, richten sich nach der Wissenschaft. Sie bewirkt, dass die Außenweltler mit fliegenden Schiffen von Stern zu Stern reisen können, und manch anderes, das wie ein Wunder erscheint. Es ist unmöglich, dass die Wissenschaft sich so sehr geirrt hat und alles falsch ist, was sie in den letzten drei Generationen herausfand.
Aber die große Mehrheit schien in diesem Punkt anderer Meinung zu sein.
Sie ging davon aus, dass es vielmehr falsch gewesen war, drei Generationen lang die Existenz und die Macht der Mondgötter zu leugnen.
Auch Tausende von gheroorischen Meilen entfernt, in der Nähe der mitten im Dschungel gelegenen Stadt Rrôngu, hatte sich eine unübersehbare Menge von Gheroor gebildet.
Nicht nur die Monde wurden von den Farben der Götter umflort, sondern auch das quaderförmige Heiligtum.
Der blinde Prediger hob die Hände. Und auch diese Hände strahlten im Licht der neuen Zeit. »Seht nur! Seht, ich bin die Wahrheit!«
Zwei Gestalten hoben sich deutlich aus der Menge heraus. Sie überragten die echsenköpfigen Gheroor um fast ein Drittel und trugen dunkle, kuttenartige Gewänder.
»Außenweltler!«, raunte es hier und da. Und andere korrigierten: »Es sind zwar Außenweltler, aber jene, die keine Geschäfte mit uns machen und auch nicht versuchen, uns zu betrügen …«
»Christophorer.«
»Die Außenweltler, die an einen unsichtbaren Gott glauben, der sich mit der
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