Die Kanonen von Navarone
heimtückischer Mensch wie ich würde glauben, daß er mal Spion für die Deutschen auf Kreta gewesen ist, daß die Alliierten ihn als Mitglied der Fünften Kolonne kannten, er dann den Deutschen nichts mehr wert war und nachts mit einer schnellen Motorbarkasse nach Navarone zurückverfrachtet wurde. Von wegen Auspeitschung und im Ruderboot von Insel zu Insel heimgekehrt – alles ganz elender Schwindel!«
Miller machte eine Pause, dann fragte er mit grimmig verzerrtem Mund: »Wieviel Silberlinge mag er sich auf Kreta verdient haben, bis die Deutschen ihn durchschauten?«
»Aber um Himmels willen, Mann, Sie werden doch einen Menschen nicht verdammen, bloß weil er mal groß angegeben hat!« protestierte Mallory, fühlte sich aber merkwürdigerweise nicht so zornig wie seine Stimme klang. »Wieviele wären bei den Alliierten am Leben geblieben, wenn –?«
»Noch nicht überzeugt, wie?« Miller winkte Panayis lässig mit dem Revolver. »Das linke Hosenbein aufkrempeln, Ischariot. Zwei Sekunden wieder.«
Panayis gehorchte. Seine dunklen, giftigen Augen ließen Miller nicht los. Er rollte den schwarzen Stoff seiner Hose bis zum Knie hoch.
»Noch weiter! Ja, so ist's brav«, spornte Miller ihn an. »Und nun den Verband ab. Ganz ab!« Ein paar Sekunden vergingen, dann sagte Miller mit traurigem Kopfschütteln. »Eine schreckliche Verletzung, Boß, eine ganz schlimme Wunde!«
»Jetzt beginne ich zu verstehen«, sagte Mallory nachdenklich. Das dunkle sehnige Bein hatte nicht einmal einen Kratzer. »Aber wieso –?«
»Einfache Sache. Mindestens vier Gründe. Unser Junior ist ein hinterlistiger, schleimiger Hund – keine Klapperschlange würde sich dem nur bis auf eine Meile nähern! –, aber er ist auch ein gerissener Hund. Hat mit dem Bein markiert, weil er in der Höhle auf dem Teufelsspielplatz zurückbleiben wollte, während wir vier zurückgingen, um die Alpenjäger abzuwehren, daß sie nicht den Abhang unter dem kleinen Gehölz 'raufkamen.«
»Weshalb? Hatte er Angst, eine Kugel zu kriegen?«
Ungeduldig schüttelte Miller den Kopf. »Unser Junior hat vor nichts Angst. Er blieb zurück, um etwas aufzuschreiben. Später hat er seine angebliche Beinwunde benutzt, um ein Stück hinter uns zu bleiben und das Papier so hinzulegen, daß es entdeckt werden konnte. Das muß schon ziemlich am Anfang gewesen sein. Seine Notiz besagte wahrscheinlich, daß wir an der und der Stelle herauskommen würden und die Deutschen uns freundlichst eine Delegation zur Begrüßung schicken möchten. Und die schickten sie auch: es war ja ihr LKW, den wir dann klauten, um zur Stadt zu kommen … Da habe ich zum erstenmal ernstlich Verdacht geschöpft, daß mit unserem Freund was nicht stimmte, denn nachdem er zurückgeblieben war, holte er uns, wenn man seine schwere Beinwunde bedenkt, auffallend schnell ein. Aber erst, als ich heute abend in dem Haus am Marktplatz den Rucksack aufmachte, wußte ich richtig Bescheid.«
»Sie haben nur zwei Gründe genannt«, erinnerte ihn Mallory.
»Komme noch auf die andern. Drittens: Er konnte, wenn die Deutschen vor uns das Feuer eröffneten, im Hintergrund bleiben, denn Ischariot wollte sich doch nicht abknallen lassen, sondern erst mal sein Honorar einkassieren. Und viertens: Denken Sie doch mal an die geradezu rührende Szene, als er Sie bat, am Ende der Höhle bleiben zu dürfen, die in das Tal führte, wo wir herkamen. Er wollte den ›Horatius auf der Brücke‹ spielen.«
»Sie meinen, daß er dem Feind die richtige Höhle zeigen wollte?«
»Getroffen. Und als Sie ihm seinen Wunsch abschlugen, war er zum Schlimmsten entschlossen. Sicher war ich meiner Sache noch nicht, Boß, aber schon schrecklich mißtrauisch geworden. Wußte nicht, was er als nächstes versuchen würde. Deshalb gab ich ihm, als die letzte Patrouille den Abhang 'raufkam, ordentlich eins über den Schädel.«
»Ach so«, sagte Mallory, »jetzt bin ich im Bilde.« Er blickte Miller scharf an. »Sie hätten mir das aber sagen müssen. Hatten kein Recht –.«
»Wollte ich ja auch, Boß, aber ich hatte keine Gelegenheit – unser Junior blieb nun dauernd in meiner Nähe. Vor einer halben Stunde wollte ich's Ihnen berichten, da fingen gerade drüben die MG an.«
Mallory nickte verständnisvoll. »Wie sind Sie denn aber zuerst mißtrauisch geworden?«
»Wacholder«, gab Miller kurz zurück. »Sie wissen doch, was Turzig sagte, wodurch er uns gefunden hat? Er roch den Wacholder vom Lagerfeuer.«
»Stimmt, wir
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