Die Kanonen von Navarone
zitternd auf dem Wellenkamm – höher als jetzt konnte es nie kommen –, und Mallory spürte es, ›jetzt oder nie!‹ Seine Hände schwangen rückwärts, die Knie beugten sich tiefer, und dann war er in einem federnden Absprung emporgeschnellt, seine Finger kratzten an dem nassen Gestein und hakten sich über den Rand fest. Einen Moment hing er so an lang ausgereckten Armen, bewegungsunfähig. Neben sich hörte er den Fockmast gegen die vorspringende Kante schlagen und zerbrechen. Seine Finger lösten sich wie von selbst, und schon war er, durch einen gewaltigen Schubs von unten gehoben, mit dem Oberkörper beinah auf dem Vorsprung. Aber noch nicht ganz. Nur die Schnalle seines Gürtels, die sich über den Rand gehakt hatte, hielt ihn, sie zog sich durch das Gewicht seines Körpers bis zur Brust hoch. Doch er blieb ruhig. Begann nicht wild nach einem Halt für seine Hände zu tasten, versuchte nicht, den Körper im Knebel des Gürtels zu lockern, und schlug auch nicht mit den Beinen – denn jede dieser Bewegungen hätte ihn zum Absturz gebracht. Endlich war er wieder einmal ganz in seinem Element! »Der beste Felsenkletterer unserer Zeit« nannte man ihn, und dafür war er geboren …
Langsam, methodisch, tastete er die Oberfläche der Felskante ab, und bald fühlte er einen nach hinten verlaufenden Riß. Besser wäre ein Spalt gewesen, der parallel zur Kante lief und ein bißchen breiter war als dieser, in den kaum ein Streichholz paßte. Aber für Mallory genügte er. Ganz behutsam zog er den Hammer und zwei Steigeisen aus dem Gürtel, drückte eins so fest wie möglich in den Spalt, um zunächst etwas Halt zu haben, legte das andere ein paar Zentimeter davor, umfaßte das erste mit seiner Linken so, daß er mit den Fingern das zweite festhalten konnte, und trieb es mit dem Hammer in der Rechten kräftig ein. Fünfzehn Sekunden später stand er auf dem Vorsprung.
Schnell und sicher arbeitend, geschmeidig wie eine Katze sein Gleichgewicht haltend, schlug er ein Steigeisen über sich in die Felswand, etwas nach unten gewinkelt, ungefähr einen Meter über dem Vorsprung, befestigte eine Schlinge daran und warf das Seilbündel hinab. Erst jetzt drehte er sich um und blickte nach unten.
Noch keine Minute war vergangen, seitdem die Kajike angeprallt war, und schon war sie fast ein Wrack, das sich, mit eingedrückten Bordwänden, vor seinen Augen aufzulösen begann. Alle sieben bis acht Sekunden nahm eine riesige Brandungswelle es hoch und schleuderte es gegen die Klippenwand, so hart, daß die dicken Autoreifen die Wucht nur wenig dämpfen konnten. Dann krachte und knackte es jedesmal entsetzlich, wenn die Bordwand immer mehr aufsplitterte, die eichenen Spanten knallend brachen und die Löcher und Spalten breiter wurden. Und wenn das Boot zurücktaumelte, sah er an Backbord die See gierig durch die klaffenden Löcher zwischen den Planken einströmen.
Drei Mann standen neben dem Rest ihres Ruderhauses. Drei – Mallory fiel auf, daß Casey Brown fehlte und der Motor noch lief, unregelmäßig klopfend, laut, leise und wieder laut. Brown steuerte das Boot mit der Maschine parallel zur Klippe vor und zurück und hielt es, so gut wie menschenmöglich, in dieser Lage, denn er wußte, daß ihrer aller Leben von Mallory und – von ihm abhing. »Der Narr«, schimpfte Mallory, »der ist ja wahnsinnig!«
Die Kajike rutschte ins Tal einer zurückweichenden See, kam zum Stillstand und glitt wieder auf die Klippenwand zu, wobei sie so schwunghaft überholte, daß das Dach des Ruderhauses an den Felsen zerschellte. Der Anprall war so wuchtig, die Erschütterung so jäh, daß Stevens von den Füßen gerissen und, während er die Arme hochriß, um sich zu schützen, gegen eine Klippe geschleudert wurde. Einen Moment hing er da wie festgenagelt, dann fiel er in die See, mit seinen erschlafften Gliedern einem Toten gleich. Er hätte jetzt sterben müssen, ertränkt unter den Hammerschlägen der See oder zerquetscht, wenn Schiff und Fels wieder mit der Kraft einer Ramme zusammenprallten. Ja, er hätte sterben müssen und wäre auch gestorben, hätte nicht ein mächtiger Arm, der sich weit über Bord bog, ihn wie eine schlaffe, nasse Stoffpuppe aus dem Wasser und an Deck gehoben, knapp eine Sekunde vor dem nächsten harten Anprall des Bootes, der ihn zerschmettert hätte.
»Los, um Gottes willen!« rief Mallory verzweifelt. »In einer Minute ist das Boot weg! Das Seil – benutzt doch das Seil!« Er sah, daß Andrea und
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