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Die Kanonen von Navarone

Die Kanonen von Navarone

Titel: Die Kanonen von Navarone Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alistair MacLean
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die das Seil bildete. Er kramte in seiner Brusttasche, brachte ein Päckchen Zigaretten zum Vorschein und bot sie allen an, ohne daran zu denken, daß der Regen sie sofort völlig durchweichte. Er war unterhalb des Gürtels klatschnaß, hatte sich beide Knie an der Klippenwand bös zerschunden und fror bitterlich in dem strömenden Regen und den Gischtsalven, die fortwährend über die Felskante schlugen. Der scharfe Rand des Gesteins schnitt schmerzhaft in seine Waden, das eng vor dem Leib liegende Seil nahm ihm die Luft, und er war noch aschgrau vor Erschöpfung von der langen, schweren Arbeit mit den Eimern und der Seekrankheit – doch als er jetzt sprach, spürten alle, daß er es aufrichtig meinte. »Mein Goott«, sagte er erfurchtsvoll, »ist das nicht wunderbar?«

5. KAPITEL
    Montag nacht 01.00 bis 02.00 Uhr
    Anderthalb Stunden später stemmte sich Mallory in einem natürlichen Felskamin an der Klippenwand fest, schlug unter sich ein Steigeisen ein und versuchte, seinen schmerzenden, müden Körper zu entspannen. ›Zwei Minuten ausruhen‹ dachte er, ›nur die zwei Minuten, bis Andrea heraufkommt.‹ Das Seil zitterte, und durch das Kreischen des Windes, der Andrea von der Klippe reißen wollte, konnte er das metallische Kratzen seiner Stiefel hören, die an dem tückischen Überhang einen Halt suchten, an dem Felsbuckel knapp unterhalb des Kamins, den er selbst kaum hatte meistern können, diesem unmöglich erscheinenden Hindernis, an dem er sich die Hände zerschunden und sich so maßlos angestrengt hatte, daß seine Schultermuskeln heftig schmerzten und sein Atem laut rasselte, als er Luft in die ausgepumpten Lungen sog. Indem er sich zwang, nicht zu beachten, wie sehr sein Körper um Schonung und Ruhe bat, lauschte er auf das Klingen des Stahls an der Felsenwand, das jetzt lauter wurde, deutlich hörbar auch im Brausen des Windes … Er mußte Andrea zurufen, bei den letzten sechs, sieben Metern besonders vorsichtig zu sein, um kein Geräusch zu machen.
    ›Mir selbst braucht freilich niemand zu sagen, daß ich leise sein muß‹, dachte er gequält, denn er hätte, auch wenn er's gewollt hätte, mit den Füßen keinen Lärm machen können: er trug über seinen blutiggescheuerten Füßen nur zerrissene Socken. Als er kaum die ersten paar Meter geklettert war, hatte er gemerkt, daß die Bergstiefel ihm nichts nützten, weil er hier mehr Tastgefühl in den Füßen brauchte, um die winzigen Stellen zu entdecken, die ihm beim Steigen etwas Halt geben konnten. So hatte er mit großer Mühe die Stiefel ausgezogen, sie mit den Schnürsenkeln an den Gürtel gebunden und – sie verloren. Sie waren abgerissen, als er um den Felsbuckel kletterte.
    Der Aufstieg war ein grausamer Weg voller Schrecken gewesen. Keuchend in Sturm, Regen und Finsternis, von Schmerzen gepeinigt, hatte er sich so anstrengen müssen, daß er schließlich an die Gefahren die bei diesem selbstmörderischen Wagnis an der steilen, unbekannten Wand kaum noch dachte, auf dem nicht enden wollenden Leidensweg, wenn er, nur an Fingerspitzen und Zehen hängend, viele Eisen einschlagen und jedesmal die Seile festmachen mußte, bevor er sich zentimeterweise höher quälte. Ein Aufstieg wie er ihn noch niemals gemacht hatte und nie wieder machen würde, denn das war heller Wahnsinn! Ein Aufstieg, der ihm das Letzte abgefordert hatte, seine ganze erstaunliche Geschicklichkeit, allen Mut und alle Muskelkraft, in einem Maße wie er es nie für möglich gehalten hätte, denn daß er – daß überhaupt ein Mensch – so viel aushallen konnte, hätte er vorher nicht geglaubt. Auch jetzt noch war ihm unerklärlich, woher diese Kräfte gekommen waren, die ihn bis dahin getrieben hatten, wo er jetzt stand: nur noch ein kurzes, leicht ersteigbares Stück von der Oberfläche der Klippe entfernt.
    Er wußte, daß nicht einmal sein Ehrgeiz als Bergsteiger, der Reiz der Gefahr und der Stolz darauf, daß er vielleicht der einzige Mensch in Südeuropa war, dem man diese Leistung zutrauen konnte – er wußte, daß nicht diese Gefühle, und auch nicht die Gewißheit, daß den Männern auf Kheros zwischen Leben und Sterben nur noch wenig Zeit blieb, ihn zu diesem Weg befähigt hatten. In den letzten zwanzig Minuten, die er gebraucht hatte, um den überhängenden Fels zu umrunden, der jetzt unter ihm lag, hatte er weder zu denken noch zu fühlen vermocht, sondern war geklettert wie eine Maschine.
    Hand über Hand zog Andrea sich jetzt am Seil, mühelos mit

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