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Die Kanonen von Navarone

Die Kanonen von Navarone

Titel: Die Kanonen von Navarone Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alistair MacLean
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richtig zu beschreiben, sei es auch nur für sich selbst, spürte aber, daß sein Kopf viel zu müde zum Nachdenken war. Es spielte ja auch keine Rolle, denn für solche Männer gab es gar keine Worte, nichts, was ihnen gerecht wurde.
    Er konnte die Bitterkeit fast schmecken, die in Wellen durch seine erschöpften Gedanken spülte. O Gott, wie falsch, wie schrecklich unfair war das! Weshalb mußten solche Männer sterben, fragte er sich ergrimmt, warum mußten sie so nutzlos sterben! Vielleicht aber war es gar nicht nötig, das Sterben zu rechtfertigen, auch wenn einer ruhmlos und ohne den erstrebten Erfolg starb? Konnte der Mensch nicht für unfaßbare Dinge sterben, für das Abstrakte und das Ideale? Was hatten denn die Märtyrer auf den Scheiterhaufen erreicht? Oder wie hieß noch der alte Spruch? Dulce et decorum est pro patria mori. Wenn einer ein tüchtiges Leben geführt hatte, war es doch einerlei, wie er starb.
    Unwillkürlich preßte er in flüchtigem Widerwillen die Lippen zusammen, als er jetzt an Jensens Bemerkung dachte: daß die Oberkommandos der feindlichen Mächte miteinander ›Verwechselt-die-Bäume‹ spielten. Na schön, dann wären sie jetzt mitten auf ihrem Spielplatz, wobei wieder ein paar einzelne Pfänder zur Hölle fuhren … Kam es darauf an? Nein, sie hatten ja noch Tausende zum Einsatz.
    Und zum erstenmal dachte Mallory jetzt an sich selbst. Weder mit Bitterkeit noch in Selbstmitleid oder mit Bedauern, daß nun alles aus war. Er dachte an sich nur als an den Führer des Unternehmens und seine Verantwortung für diese Situation. ›Meine Schuld‹, wiederholte er sich immer wieder, ›meine Schuld. Ich habe sie hierhergebracht, ich habe sie gezwungen, mitzumachen.‹ Und obwohl ein Teil seines Verstandes ihm sagte, daß er keine Wahl gehabt habe und so handeln mußte; daß man sie, wenn sie in dem Fluß liegengeblieben wären, schon lange vor Tagesanbruch vernichtet hätte – machte er sich, gegen alle Vernunft, um so mehr Vorwürfe. Shackleton – ja, von allen Menschen, die je gelebt hatten, hätte vielleicht Ernest Shackleton ihnen helfen können. Aber nicht Keith Mallory. Nichts konnte er tun, nicht mehr als die andern schon taten, und die warteten doch nur auf ihr Ende. ›Aber ich bin ihr Führer‹, dachte er stumpf, ›ich müßte etwas ausdenken, etwas unternehmen …‹ Aber was denn? Es gab ja keine Möglichkeit. Nichts auf Gottes Erde konnte ihnen helfen. Das Gefühl der Schuld, der völligen Unfähigkeit für seine Aufgabe, setzte sich mit jeder Erschütterung des alten Schiffsrumpfes tiefer in ihm fest.
    Er ließ den Eimer fallen und griff nach dem sicheren Halt am Mast, als eine schwere See über Deck fegte, deren Schaum wie funkelndes Quecksilber siedete. Das Wasser wirbelte ihm gierig um die Füße, doch er beachtete das nicht, er starrte in die Finsternis. Diese Finsternis – das war das Teuflische. Die alte Kajike schlingerte und stampfte, sie schwankte und tauchte, wie entkörpert, in ein Vakuum. Sehen konnten sie nichts – nicht wohin die letzte See verschwand, und nicht, woher die nächste kam, eine noch unsichtbare, seltsam fern scheinende, doppelt erschreckend, weil sie schon fühlbar nahe war und sogleich auf sie stürzen mußte.
    Mallory blickte in den Laderaum hinab, wo er undeutlich als weißen Fleck das Gesicht Millers sah, der Seewasser geschluckt hatte und sich unter Schmerzen erbrach, Salzwasser mit Blut gemischt. Aber Mallory ignorierte das, gegen seinen Willen, denn sein Verstand konzentrierte sich auf etwas anderes: Er versuchte, einen unklaren und flüchtigen Eindruck festzuhalten und logisch zu denken. Es schien ihm verzweifelt eilig, daß das gelinge. Da brach die nächste, noch schwerere See über Deck, und auf einmal wußte er.
    Der Wind! Der Wind war abgeflaut, er wurde mit jeder Sekunde schwächer. Während er so dastand, die Arme um den Mast geschlungen, und die zweite See ihn fortzureißen suchte, erinnerte er sich, daß er zu Hause in den Bergen oft am Fuß eines Abgrunds gestanden und beobachtet hatte, wie der heranbrausende Wind, den Weg des geringsten Widerstands suchend, im Bogen an der Steilwand emporschoß, so daß er in einem toten Winkel fast unberührt von ihm blieb. Eine Erscheinung, die Bergsteiger häufig erlebt haben. Und hier die beiden schweren Seen – mit ihrem brandenden Rücksog! Wie ein Schlag traf ihn die Erkenntnis. Die Klippen! Sie waren dicht vor den Klippen von Navarone! Ja, das mußten die Klippen sein!
    Mit

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