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Die Kanonen von Navarone

Die Kanonen von Navarone

Titel: Die Kanonen von Navarone Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alistair MacLean
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seinen mächtigen Muskeln, um diesen Überhang, ohne nach Stützen für die Beine zu suchen. Er trug dicke Seilrollen um den Hals, an seinem Gürtel hingen rundum Steigeisen, so daß er aussah wie ein korsischer Bandit aus der komischen Oper. Rasch zog er sich das letzte Stück hinauf, klemmte sich neben Mallory in den Kamin und wischte seine schweißnasse Stirn ab. Und, wie immer, lachte er übers ganze Gesicht.
    Mallory sah ihn an und mußte auch lächeln. Andrea, überlegte er, hätte eigentlich nicht jetzt schon hier sein dürfen, denn vor ihm hätte Stevens klettern sollen. Doch Stevens litt noch unter dem ausgestandenen Schrecken und hatte viel Blut verloren. Nur ein erfahrener Bergsteiger mit kräftigen Muskeln konnte den Schluß bilden, wenn es galt, im Klettern die Seile aufzurollen und die Eisen einzeln loszubrechen, denn es durfte von ihrem Aufstieg keine Spur zurückbleiben. Jedenfalls hatte er es Stevens so erklärt, und der hatte ihm zögernd zugestimmt, wobei nicht zu verkennen war, daß er sich gekränkt fühlte. Trotzdem war Mallory jetzt heilfroh, daß er der stummen Bitte, die er in Stevens' Gesicht las, nicht nachgegeben hatte. Unbestreitbar war Stevens ein guter Bergsteiger, doch nicht darum ging es Mallory in dieser Nacht: er brauchte eine menschliche »Leiter«. Immer wieder hatte er beim Aufstieg auf Andreas Rücken, auf seinen Schultern, seiner Handfläche, und einmal sogar, für mindestens zehn Sekunden, mit seinen stahlbeschlagenen Stiefeln (ehe er sie verlor) auf seinem Kopf stehen müssen. Und Andrea hatte nie protestiert, nicht gewackelt und um keinen Zoll seine Haltung verändert. Dieser Mensch war unzerstörbar, ebenso hart und dauerhaft wie der Fels, auf dem er stand. Seit Beginn der Dunkelheit hatte er pausenlos so geschuftet, daß zwei normale Menschen dabei umgefallen wären, und sogar jetzt – stellte Mallory beinah deprimiert fest – sah er noch aus, als sei er kaum müde!
    Mallory wies in dem Kamin nach oben, wo die ungefähr rechteckige Mündung sich verschwommen vom graubleichen Himmel abzeichnete. Er beugte sich vor und sagte leise, den Mund dicht an Andreas Ohr: »Sechs Meter noch, Andrea.« Sein Atem kam in schmerzhaften Stößen. »Wird nicht schwer sein, hier bei mir sind Spalten, die gehen vielleicht bis oben durch.«
    Andrea blickte prüfend an der steilen Wand hoch und nickte still.
    »Besser, wenn du auch ohne Stiefel kletterst«, fuhr Mallory fort, »und jedes Eisen müssen wir mit den Händen festdrücken.«
    »Sogar jetzt leise sein, bei solchem Sturm und Regen, bei dieser Kälte und Rabenschwärze – und auf so einer Klippe?« In Andreas Ton lag kein Zweifel, keine Frage, es sollte nur nebenbei die Bestätigung unausgesprochener Gedanken sein. Sie hatten so lange miteinander gelebt und verstanden sich so genau, daß sie selten viele Worte zur Verständigung brauchten.
    Mallory nickte nur, während Andrea schon ein Steigeisen eindrückte, die Seile festmachte und mit dem Rest des dicken Bindfadens verband, der über hundert Meter hinab bis zu dem Vorsprung reichte, auf dem die anderen warteten. Dann zog er die Stiefel aus, band sie, zusammen mit den Steigeisen, an die Seile, lockerte das schmale, doppelschneidige Wurfmesser, das er in einer ledernen Scheide am Gürtel trug, blickte Mallory an und nickte wortlos.
    Die ersten drei Meter ging es leicht: Handflächen und Rücken an eine Kaminwand gedrückt, die Füße in Strümpfen gegen die andere, arbeitete sich Mallory gekrümmt nach oben, bis es in der breiter werdenden Öffnung so nicht mehr möglich war. Die Beine an die Wand gegenüber gestemmt, drückte er so hoch über sich, wie er greifen konnte, ein Eisen in den senkrechten Riß, faßte mit beiden Händen an, ließ die Beine fallen und fand einen Halt für seine Fußspitzen. Zwei Minuten später hakte er die Hände über den bröckeligen Rand des Abgrunds. So hielt er sich fest.
    Geräuschlos und unendlich vorsichtig schob er Erde, Gras und kleine Steine beiseite, bis er festen Fels unter den Händen fühlte, dann hob er ganz langsam den Kopf bis zur Kante, millimeterweise, so daß niemand es hätte bemerken können. Sobald er die Augen an der Oberfläche hatte und in die unbekannte finstere Landschaft spähen konnte, war er nur noch Auge und Ohr. Es war paradox: aber jetzt zum erstenmal bei dem ganzen grauenhaften Aufstieg, ward ihm deutlich die Gefahr und die hilflose Lage bewußt, in der er sich befand, und er verfluchte seine Dummheit, sich nicht

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