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Die Kanonen von Navarone

Die Kanonen von Navarone

Titel: Die Kanonen von Navarone Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alistair MacLean
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Millers geräuschlosen Revolver geliehen zu haben.
    Die Dunkelheit am Fuße der Berge, die vor ihm lagen, war fast vollkommen, alle Formen und Winkel, Höhen und Vertiefungen lösten sich in undeutliche Silhouetten auf, deren schattenhafte Profile nur zögernd aus der Dunkelheit traten, einer Dunkelheit, die ihm jetzt nicht mehr ungewiß und unbekannt erschien, sondern ihm etwas enthüllte, das er kennen mußte. Und dann, beinah mit Schrecken, fiel ihm ein, was es war! Die Oberfläche der Klippe vor seinen Augen sah genauso aus, wie Vlachos sie gezeichnet und beschrieben hatte: der schmale Streifen kahlen Bodens parallel mit der Klippe, die Menge riesiger Felsblöcke dahinter, und hinter diesen die steilen, mit Geröll bestreuten Berghänge. ›Der erste Lichtblick, den wir haben‹, dachte er frohlockend, ›– und was für ein Dusel!‹ Oberflächlichste Navigation, aber mit ganz unglaublichem Glück, schnurstracks mitten ins Ziel – den höchsten Punkt der höchsten und steilsten Felsenwand von Navarone, die einzige Stelle, an der die Deutschen gewiß nie einen Posten aufstellten, weil der Aufstieg hier »unmöglich« war! Wie eine befreiende Flut durchrann ihn die Freude über diesen Erfolg. Innerlich jubelnd streckte er sein Bein, hievte sich halb auf die Kante, die Arme lang, Handflächen nach unten, auf den Boden gelegt. Und dann hielt er inne, so steinern still wie der Felsen unter seinen Händen. Schmerzhaft klopfte sein Herz bis in die Kehle.
    Einer der Felsblöcke hatte sich bewegt. Sieben, vielleicht acht Meter von ihm hatte ein Schatten, allmählich wachsend, sich vorsichtig aus der Umgebung von Steinen gelöst und kam jetzt langsam auf den Klippenrand zu. Und dann war es kein unbestimmter Schatten mehr, und eine Täuschung unmöglich: der lange Wachmantel unter dem wasserdichten Umhang, der eng anliegende Stahlhelm waren ein nur zu vertrautes Bild. Verdammt sei Vlachos! Und Jensen auch! Verdammt alle die Klugscheisser hinter der Front, die großen Weisen von der Abwehr, die Menschen mit falschen Informationen in den Tod schickten! Aber zugleich verfluchte Mallory auch sich selbst: daß er so leichtsinnig gewesen war, denn erwartet hatte er dies doch die ganze Zeit schon …
    Zwei, drei Sekunden hatte er wie erstarrt dagelegen, an Körper und Geist gelähmt, und der Posten war inzwischen schon vier oder fünf Schritte nähergekommen, den Karabiner schußbereit in den Händen, den Kopf zur Seite geneigt, als lausche er in das laute dünne Gewinsel des Windes und das tiefe dunkle Donnern der Brandung unter den Felsen, um das Geräusch herauszuhören, das seinen Argwohn erweckt hatte. Aber jetzt, nach Überwindung des ersten Schreckens, arbeitete Mallorys Gehirn wieder. Auf die Oberfläche klettern wäre Selbstmord gewesen. Zehn zu eins, daß der Posten ihn krabbeln hörte und sofort erschoß! Er hatte ja keine Waffe bei sich und besaß auch nach den Strapazen der Kletterpartie nicht mehr die Kraft, es mit einem ausgeruhten bewaffneten Gegner aufzunehmen. Also mußte er wieder hinunter, aber sich ganz langsam gleiten lassen, zentimeterweise, denn nachts kann, wie er wußte, der Mensch aus dem Augenwinkel schärfer sehen als geradeaus, und so mochte dem Posten eine rasche Bewegung auffallen. Der brauchte dann bloß den Kopf zu drehen, und aus war's mit ihm. Auch bei dieser Dunkelheit hob sich bestimmt sein Oberkörper scharf vom Klippenrand ab. Er tastete sich behutsam weiter.
    Bei der kleinsten Bewegung sanft und vorsichtig, mit jedem leisen Atemzug betend, daß es gelingen möge, ließ Mallory sich allmählich zurückgleiten. Der Posten schritt weiter, nach einem Punkt ungefähr fünf Meter links von ihm, und blickte, das Ohr gegen den Wind haltend, in eine andere Richtung. Und nun war Mallory unten – nur seine Fingerspitzen noch auf der Kuppe – und hing neben dem mächtigen Andrea, der ihm ins Ohr raunte: »Was ist? Jemand da oben?«
    »Ein Posten«, flüsterte Mallory. Seine Arme schmerzten von der Anstrengung. »Er hat was gehört und sucht nach uns.«
    Jäh rückte er von Andrea ab, preßte sich so dicht wie es ging an die Felsenwand, und merkte, daß Andrea dasselbe tat. Ein Lichtstrahl, der ihre an Finsternis gewöhnten Augen empfindlich blendete, fiel im Winkel über den Klippenrand und bewegte sich langsam auf sie zu. Der Deutsche untersuchte mit seiner Taschenlampe methodisch an der Kante die Oberfläche. Nach Mallorys Schätzung bewegte er sich knapp einen Meter vom Rand entfernt.

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