Die Kanonen von Navarone
im Sterben, doch das war ein sehr dehnbarer Begriff. Wenn ein schwer verwundeter, sterbender Mensch sich mit aller Energie gegen das Sterben sträubt, wird er zur zähesten, ausdauerndsten aller Kreaturen, davon kannte Mallory mehr als ein Beispiel. Aber vielleicht wollte Stevens gar nicht leben? Am Leben bleiben, diese schlimmen Verletzungen überstehen, das hieß: sich selbst und andern seine Energie beweisen, und Stevens war so jung und empfindsam und hatte in letzter Zeit soviel gelitten, daß vielleicht dieser Gedanke ihn ganz beherrschte. Freilich wußte er auch – und hatte das aus seinem Munde gehört –, was für ein beängstigendes Hindernis er den Kameraden geworden war, und wußte zudem, daß es ihm nicht in erster Linie um sein Wohlergehen zu tun war, sondern er nur fürchtete, daß die Deutschen ihn gefangennehmen könnten und er unter Druck alles ausplaudern würde. Auch das hatte er in Mallorys eigenen Worten gehört, und wußte daher, daß er für die Kameraden ein Versager war. Ach, das war alles so diffizil, daß sich nicht voraussagen ließ, welche der widerstreitenden Kräfte schließlich die Oberhand bekamen. Seufzend schüttelte Mallory den Kopf, zündete sich eine frische Zigarette an und rückte näher ans Feuer.
Fünf Minuten später kehrten Andrea und Louki zurück, und fast unmittelbar hinter ihnen traten Miller und Panayis ein. Miller hatten sie schon aus einiger Entfernung hören können, wie er fast ununterbrochen rutschte, hinfiel und fluchte, als er sich unter einer schweren, ungefügen Bürde den Geröllgraben hinaufkämpfte. Er fiel förmlich in ihren Unterstand hinein und sackte ausgepumpt am Feuer nieder, das Bild eines Mannes, der sehr viel gelitten hat.
Mallory grinste ihm dabei sehr verständnisvoll zu. Das war ein Bursche!
»Na, Dusty, wie ging's? Hoffe, daß Panayis Ihr Tempo nicht zu sehr gebremst hat.«
Miller schien das gar nicht zu hören: er stierte ungläubig ins Feuer, sein kantiger Unterkiefer klappte herunter, als ihm dämmerte, warum er so sprachlos war.
»Hölle und Teufel, was soll man dazu sagen?« schimpfte er nun erbittert. »Da plagt sich unsereins die halbe Nacht, auf einem verdammten Berg herumzukraxeln mit einem Ofen auf dem Buckel und soviel Petroleum, daß man einen Elefanten darin baden kann – und was findet er hier vor?« Er holte tief Luft, um zu schildern, was er vorfand, versank aber statt dessen, innerlich vor Wut kochend, in Schweigen.
»In Ihrem Alter würde ich auf meinen Blutdruck achtgeben«, riet ihm Mallory. »Wie hat es sonst geklappt?«
»Okay, glaube ich.« Miller hatte einen Becher voll Ouzo in der Hand und wurde bereits wieder umgänglicher. »Wir haben das Bettzeug, Medikamente –«
»Bitte geben Sie mir das Bettzeug gleich, dann werde ich unseren jungen Freund sofort richtig einpacken«, unterbrach ihn Andrea.
»Und die Eßwaren?« forschte Mallory.
»Ja-a, Fraß haben wir auch mitgebracht, Boß. Stapelweise. Dieser Panayis ist ein Wunderknabe. Brot, Wein, Ziegenkäse, Knoblauchwürste, Reis und noch allerlei.«
»Reis?« Mallory schien das nicht glauben zu wollen. »Aber den kann man doch jetzt auf den Inseln nirgends mehr kriegen, Dusty!«
»Panayis kann«, sagte Miller, der seine Offenbarungen gewaltig genoß. »Hat ihn aus der Küche des deutschen Kommandeurs geholt. Ein Bursche namens Skoda.«
»Vom deutschen Kommandeur? Sie machen Witze!«
»Bei Gott, Boß, das ist die heilige Wahrheit.« Miller trank den Becher mit einem Schluck halb leer und stieß in einem langen Seufzer der Befriedigung vehement die Luft aus. »Unser kleiner alter Onkel Miller drückt sich an der Hintertür 'rum, seine Knie klappern zusammen wie die Kastagnetten von Carmen, und er ist die ganze Zeit auf dem Sprunge, schleunigst abzuhauen, ganz egal, wohin, während der Junior hier den Laden aufknackt. Der könnte in den Staaten als Fassadenkletterer ein Vermögen machen! Nach ungefähr zehn Minuten kommt er mit dem verdammten Handkoffer da wieder 'raus!« Mit einer lässigen Handbewegung deutete Miller auf das Objekt. »Räumt nicht bloß die Speisekammer des Kommandeurs aus, sondern pumpt sich von ihm auch noch diesen Ranzen, um den Krempel besser zu tragen. Ich kann Ihnen sagen, Boß, bei so einer Tour mit diesem Knaben kann man sich'n Herzknacks holen.«
»Aber – aber wie ging's denn mit den Wachen, den Posten?«
»Müssen sich wohl die Nacht dienstfrei genommen haben, Boß. Papa Panayis ist stumm wie 'ne Auster – spricht
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