Die Kanzlerin - Roman
ihre Körper spürte, wenn es ruckelte, und Loderer ruckelte an Ärsche und Beine und sah, wie eine schöne Frau einen Haltegriff suchte. »Bitte«, sagte er und stand nun haltlos, und die schöne Frau sagte: »Danke«, und hielt sich an der mit Nürnberger Fett verschmierten Stange. Den Geruch von Bier, Urin, Kunststoff, Metall und Schweiss sog Loderer auf und fuhr eine Station weiter als nötig. Sein Ding war steinhart. Als er ausstieg, pinkelte er an eine Wand mit Graffiti von Wau & Au.
»Frau Male, ich halte es nicht mehr aus. Treffen wir uns. Realisieren wir uns.«
»Kann jetzt nicht, Controller, ein Patient ist da. Mit Ständer. Hab ihn auf den Bauch gelegt. Was du vielleicht auch tun solltest.«
»Ich will dich, Jenny.«
»Ich will dich auch, Filip.«
»Massier seinen Ständer.«
»Nein.«
»Hol ihm einen runter, ich bezahle.«
»Nein. Aber ich werde ein Gleichgewicht schaffen zwischen Antagonisten und Agonisten … sein Gangbild verbessern …«
»Er kam doch aufgestellt …«
»Controller, ich bewege ihn jetzt … auch wenn du dich versteifst.«
»Dann bin ich also, verhaltensbiologisch gesehen, dein Agonist, Frau Male, weil ich dein Verhalten störe.«
»Du störst mich nicht, Controller. Im Übrigen ist mein Antagonist ein Muskel, den ich jetzt dehnen muss, weil er faul ist und dem Agonisten die ganze Arbeit überlässt, das Halten und Bewegen … Also wenn schon, bist du mein Antagonist.«
»Beweg mich, halt mich, ich halte es nicht mehr aus, Frau Male, ich schlage aus und wild um mich.«
»Controller, bin in einer Stunde wieder online, bis bald, dein Hürchen.«
S ie hasste es, im Urlaub gestört zu werden. Telefonate, ja. Mails, ja. Aber ein Treffen mit Parteifreunden? »Wo?«, fragte sie, als Fraktionschef Gaudenz Zwicker sie um ein dringliches Treffen bat. Mit von der Partie: Adi Fröhlich, ihr Generalsekretär, Friedel Amsel, Boss der bayerischen Schwesterpartei, und aus unerfindlichen Gründen auch Regierungssprecher Kordian von Aretin. »In Ordnung«, sagte die Kanzlerin gereizt, entschlossen, sich nach spätestens einer Stunde von den Herren zu verabschieden, was auch immer sie bewegte. Immerhin, das von Zwicker vorgeschlagene Lokal in Friedrichshain war mal was anderes. Kein Türke, kein Italiener, kein Spanier, kein Chinese, sondern ein Biergarten, in dem es angeblich eine ungestörte Ecke gab.
Kurz darauf klingelte ihr Chauffeur, und als die Kanzlerin sah, dass Jan Caspers einer der Leibwächter war, verbesserte sich ihre Laune schlagartig. Caspers war einer, bei dem sie sich sicher fühlte. Unauffällig, höflich und immer hochkonzentriert bei der Sache. Sie machte sich richtig breit auf dem Rücksitz, und weilihr danach war, trällerte sie ein Liedchen aus alten DDR-Zeiten. Keiner im Wagen kannte es, also summte sie weiter, bis die neue O 2 -World-Arena auftauchte. »Ist Grönemeyer schon aufgetreten?«
»Er hat die Halle eingeweiht«, sagte der Chauffeur.
»Na dann«, sagte die Kanzlerin, »na dann.« Sie hasste Grönemeyer. Diese gesamtdeutsche Stimme. Sie erstickte, wenn sie ihn hörte, und drückte unwillkürlich eine Hand auf die Brust.
»Ich mag ihn auch nicht«, sagte der Chauffeur.
Der Biergarten war brechend voll. Die Kanzlerin lächelte verzückt in ein paar Fotohandys und winkte, obwohl ihre Berater das nicht gern sahen, mit steifem Handgelenk, so dass eigentlich nur ihre Finger winkten. Das hatte sie sich abgeguckt bei der englischen Königin. Oder war es die schwedische? Jedenfalls hatte diese Art zu winken Stil. Ihr Vorgänger hätte ein paar Hände zerquetscht und dann die Arme in die Luft gerissen und über dem Kopf zusammengeschlagen und geklatscht. Aber, dachte sie, manchmal genügt auch ein kleiner Wink – lächelte noch einmal, und Zwicker stand sofort auf und sagte: »Bitte setzen Sie sich doch, Frau Kanzlerin.«
Es war tatsächlich eine ruhige Ecke; was aber beunruhigend war, das war die Atmosphäre am Tisch. Kordian von Aretin war kurz aufgestanden, Friedel Amsel wollte gar ihre Hand drücken, aber, und das war für die Stimmungslage entscheidender: Adi Fröhlich sah bedrückt aus, was äusserst ungewöhnlich war. Schliesslich hatte sie ihn nicht zuletzt darum engagiert, weil er eine Heiterkeit pflegte, die in der Regel zwar unpassend war, aber die Offenheit, mit der er gute Laune signalisierte, brachte auch hartnäckig bohrende Journalisten zur Verzweiflung.
»In einem Biergarten trinkt man Bier«, sagte sie und gab dem Kellner ein
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