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Die Kanzlerin - Roman

Die Kanzlerin - Roman

Titel: Die Kanzlerin - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lenos Verlag
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Autogramm.
    Zwicker kam sofort zur Sache. »Xenia, die Sozialdemokratenhaben sich neu aufgestellt. Das neue Führungsduo mit dem designierten Parteichef Vinzenz Glock und dem Kanzlerkandidaten Jeremias Schiller hat etwas aufgeholt.«
    »Lächerlich«, sagte die Kanzlerin, »ich setze auf die Liberalen.«
    »Ich kann leider nur sehr kurz anwesend sein«, sagte der Regierungssprecher, »eine Verabredung …«
    »Aber trotzdem sitzen Sie jetzt hier«, sagte die Kanzlerin.
    Kordian von Aretin sah wie immer beneidenswert gut aus, ein »Tipptoppmann«, wie ihn die Kanzlerin gerne nannte: gepflegt, feiner hellgrauer Anzug, tadelloses Benehmen, schwarze Haare und eine weisse Haut, die perfekt mit seinem adligen Auftritt harmonierte.
    »Haben Sie sich eigentlich die Haare gefärbt?«, fragte sie ihn, weil sie ihn das schon lange einmal fragen wollte.
    Die Frage verblüffte ihn. »Alles echt«, sagte er.
    Sie schaute ihn an und sagte: »Erfreulich, das zu hören.«
    Sie wusste, dass Unbequemes auf diesen Tisch kommen würde, und versuchte den Pfeilen ihr Gift zu nehmen, bevor sie abgefeuert wurden. Sie setzte oft auf diese Taktik: die Bogenschützen so lange ihre Bogen spannen lassen, bis die Arme müde wurden, die Muskulatur erschlaffte oder sich verkrampfte, und dann, wenn sie die kleinste Unaufmerksamkeit spürte, in die Offensive gehen.
    »Adi, du siehst so bedrückt aus. Hast du Migräne?«
    Fröhlich lachte. »Ich habe nie Migräne.«
    »Beneidenswert«, sagte die Kanzlerin.
    Zwicker hob eine Hand.
    »Wir sind hier nicht im Schulunterricht, Gaudenz, und ich bin keine Lehrerin, sondern die Kanzlerin. Und zwar immer noch eine sehr beliebte. Wenn mein Vizekanzler, der begnadete Herr Aussenminister Schiller, also weiterhin auf das direkte Duell setzt, dann wird ihm am Wahlabend seine Schillerlocke verrutschen vor Ärger.«
    »Das sehen wir nicht so«, sagte Zwicker, und Friedel Amsel, diese bayerische Drossel, entblödete sich nicht beizufügen: »Ich auch nicht.«
    »Wer ist wir«, fragte die Kanzlerin, »und wer sieht was nicht wie wer?«
    »Die Union«, sagte Friedel Amsel, räusperte sich und machte sein Mündchen, das er immer machte, wenn er gelassen wirken und reden wollte. »Die Union hat fast so dramatisch Stimmen verloren wie die SPD. Und an eine konservativ-liberale Regierung glaube ich nicht.«
    »Herr Amsel, wenn Sie die Wahl hätten: Wären Sie lieber eine Drossel oder eine Taube?«
    Amsels Kopf färbte sich zartrot. »Diese Frage verstehe ich zwar nicht, aber wenn, dann lieber eine Taube, weil ich da an die Friedenstaube denke.«
    »Es gibt auch Tontauben«, sagte die Kanzlerin, »und es würde mich nicht wundern, wenn es im schönen Bayern bald zu einem Tontaubenschiessen kommen würde. Und Valentin Hendricks ist ein sehr guter Schütze.« Amsel war ein Parteivorsitzender auf Abruf, was alle in der Runde wussten, aber anstandshalber so taten, als ob der Kanzlerin ein Scherzchen gelungen wäre. Adi Fröhlich war allerdings der Einzige, dessen Lachen man auch hören konnte. »Und wenn es auch so wäre, Herr Amsel, selbst wenn es für Schwarz-Gelb nicht reicht: Dann setzen wir die grosse Koalition fort mit Sozis, die noch gefügiger sein werden als jetzt schon.«
    »Es könnte aber auch anders kommen«, sagte Zwicker mit einem Unterton, der ihr gar nicht gefiel. »Xenia, du musst kämpfen. Die Partei ist in keinem guten Zustand. Du bist eine gute Kanzlerin, aber …«
    »Jetzt reicht’s«, sagte die Kanzlerin. »Wir machen eine grosse Koalition, da kann ich als Parteivorsitzende nicht immer Tacheles reden. Wenn ich mir an Parteitagen dann aber das Schweigen derLämmer ansehe, wird mir übel. Jedenfalls mache ich mir nicht in die Hose. Die SPD hat die Sache mit der Linken vergeigt, wir sind stärkste politische Kraft im Land, und wenn das so bleibt, dann werden Sie es noch eine ganze Weile mit mir zu tun haben, Herren.«
    »Wenn«, nuschelte Amsel.
    »Wenn heisst was?«, fragte die Kanzlerin.
    Kordian von Aretin stand auf, stilvoll und mit ernstem Gesicht. »Glock setzt auf eine Regierung mit Grünen und FDP. Oder mit Grünen und de la Mare. Oder auf eine grosse Koalition. Aber ohne Sie.«
    Der schöne Sommerabend war verdorben, also konnte sie jetzt Klartext reden: »Herr von Aretin, als Regierungssprecher sind Sie ja sozusagen ein Zwitter, weil Sie die Politik von Christdemokraten und Sozis zu vertreten haben. Und insofern glaube ich, dass Ihre Anwesenheit nicht unbedingt erforderlich ist, jetzt, da es

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