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Die Kanzlerin - Roman

Die Kanzlerin - Roman

Titel: Die Kanzlerin - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lenos Verlag
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Personenkreis bekannt war. Und das war das eigentliche Alarmsignal. Es gab eine undichte Stelle, und wo es undichte Stellen gab, konnte es sehr schnell sehr ungemütlich werden. Die Kanzlerin las die beiden Texte noch einmal und kam zum vorläufigen Schluss, dass es eigentlich nur drei Möglichkeiten gab: Jemand wollte sie warnen, jemand wollte sie einschüchtern, oder jemand pflegte zu scherzen. Und keine dieser Varianten gefiel ihr.
    »Frau Heidenreich!«
    Ihre Büroleiterin war übereilig.
    »Ach, Frau Heidenreich, Sie entschuldigen mich, aber das, worum es geht, ist noch nicht ganz so weit gediehen, dass ich es Ihnen mitteilen könnte, ich werde Sie noch einmal rufen, wenn es so weit ist.«

» A uf eine fröhliche Zukunft«, tippte Loderer und hoffte auf eine Antwort von Anarchisterix.
    »Der musste mal«, schrieb eine Silikon-Susi, »kann ich helfen?«
    »Bin ich bei Cookie & Co?«
    »Du fällst gleich, wenn du nicht aufpasst, in eine Jauchegrube«, sagte ein gewisser Joker.
    »Oder du erstickst in einer Garage, also pass auf dich auf«, warnte Hardcore. »Wir plappern hier über alles Mögliche«, sagte Silikon-Susi, »und im Moment suchen wir passende Räume für ein paar unpassende Gedanken.«
    »Wir brauchen einen geschlossenen Raum«, sagte DINA4.
    »Damit nichts nach aussen dringt«, flüsterte Silikon-Susi, »die Seufzer, das Stöhnen, das Gekreische.«
    »Vielleicht ein Sitzungszimmer?«, fragte der Controller, ohne zu wissen, wovon die Rede war.
    »Niemand wird sitzen«, sagte Tricolor, »es steht und fällt alles – der Ständer der Lustwandler, das Fallobst reifer Früchtchen …«
    »Standing Ovations«, schrieb Jodler. »Hurra. Aber wir können das alles erst planen, wenn wir es einmal durchgespielt haben.«
    »Ich will mitspielen«, sagte der Controller.
    »Unser Seher ist da, unser Vorherseher ist da, und Anarchisterix ist sehr erleichtert«, sagte Silikon-Susi.
    »Ihr habt mich profiliert«, schrieb Loderer, »und es wäre fair, wenn ich auch euer Profil hätte, zumindest eines.«
    »Du kannst sogar zwei haben, Controller«, sagte Silikon-Susi, »ich habe doch zwei Dinger, und das ist doch dein Ding.«
    »Ich möchte das Profil von Anarchisterix.«
    »Ich bin blassrosa, hab kurzes Haar und einen schwarzen Hintergrund. Homepage ex-muslime.info. «
    »Keine Sorge, Controller. Silikon-Susi gibt es bis dato völlig unverfälscht. Hab langes Haar und mach mich gut vor hellem Hintergrund.«

    Loderer loggte sich aus, seltsam erregt, er konnte sich kaum noch beherrschen. Vielleicht war sie da.
    »Frau Male, bist du online? Der Controller wäre vielleicht eine Option.«
    Loderer wartete exakt zehn Minuten. Er hatte nichts zu tun. Er kam, fünf Tage die Woche, acht Stunden am Tag, und hatte nichts zu tun. Geparkt im Bundespresseamt wie viele, die man in Berlin für überflüssig hielt. Und für eine Frühpensionierung war er noch nicht alt genug. Nur ausnahmsweise kam es vor, dass ein Ministerium kurzfristig einen Ersatz suchte und er – wie beispielsweise bei der Eröffnung der letzten CeBIT – eine kleine Rede schreiben durfte. Er hatte sich grosse Mühe gemacht und nachgelesen, was all die Jahre zuvor bei solchen Gelegenheiten gesagt worden war: spannendes Zeitalter, das Internet als grosse Herausforderung, technische Innovationen, und Deutschland ist spitze und hat eine moderne Kanzlerin, die simst und also auf dem Laufenden ist.
    Loderer hatte versucht, in einer kleinen Redepassage darauf aufmerksam zu machen, dass es im Prinzip gar keine virtuellen Räume gebe, sondern nur Variationen von Realitäten, verschiedene Ebenen und dass Technik und technischer Fortschritt vergleichsweise unwichtig würden. Gemessen an dem, was das Netz beinhalte. Ein Netz, das uns alle gefangen halte, hatte er geschrieben, ein Netz, das uns fessele und gleichzeitig befreie, ein Netz,das uns absichere und auffange, wenn wir abstürzen könnten, aber auch ein Netz, das uns an Realitäten binde, die wir noch gar nicht erfunden hätten.
    Früher, hatte er geschrieben, befassten sich die Philosophen mit der Frage, was Wirklichkeit bedeute und ob der Mensch sich seine Realitäten vielleicht nur einbilde. Heute hingegen müssten wir Realitäten erfinden, die der riesigen Fiktion standhalten, die weltweit mit dem Netz genährt wird. Nichts ist mehr kontrollierbar. Politik kann nicht mehr regeln und nicht mehr ordnen, Politik ist an sich in Frage gestellt. Mit dem Netz sind nicht nur die Zensoren aller autoritären Regime

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