Die Kanzlerin - Roman
Zeit.«
Sie sagte: »Ich verstehe nicht.« Sie sprach nicht viel Deutsch und er nur holprig Englisch.
»The time is ripe«, sagte er, und sie schwieg. »Jetzt oder nie.«
Swenja nickte mit den Augen.
»Ja oder nein?«
»Du bist der Mann.«
»To live simply. Ich will einfach leben. Und ich habe lange nicht gelebt. Und ich weiss nicht, ob ich das noch kann, leben, einfach leben. Swenja, wir müssen absolut ehrlich sein. Wenn wir jetzt lügen, dann verpassen wir uns. Wir haben keine Zeit für Spielchen.«
»Spielchen?«, fragte sie.
»Wir müssen den Mut haben, Swenja. Wir müssen uns zeigen. Wir müssen uns sagen, was wir wünschen. Was wir von uns wollen. Was willst du von mir, Swenja?«
»Ich will einen guten Mann. Ich will leben. Ich habe auch nicht gelebt.«
»Ich will ehrlich sein, Swenja.« Er sprach ganz langsam. »Ich bin Filip. Und ich suche einen Menschen, der mich lieben kann. Und ich suche einen Menschen, den ich lieben kann. Ich hab so viel Liebe in mir.«
Sie beobachtete ihn.
»Du bist eine traurige Frau, Swenja. Warum? Aber du hast kleine Finger, und das gefällt mir. Und du hast Augen, die nicht lügen können. Du hast klare Augen, klar wie Wodka.«
Aber sie wollte keinen Wodka trinken. Sie sagte: »Ich fühle mich schuldig. Mein Vater ist tot, und meine Mutter ist tot, und ich fühle mich schuldig.«
Sie weinte, und er nahm ihre kleinen Hände und hielt sie fest.
»Ich habe mich immer geopfert«, sagte sie. »Aber jetzt will ich leben. Und alles, was gewesen ist, will ich vergessen. Ich suche einen Mann, der mich liebt und den ich unterstützen kann.«
Drei Tage lang zeigte er ihr Berlin. Sie hielten sich an der Hand und gingen stundenlang durch eine Stadt, die mit einem Mal fremd war für ihn. Einmal, es regnete, blieb sie plötzlich stehen, schaute ihm in die Augen und küsste ihn wild. Darauf war er nicht gefasst. Er wollte keinen Sex mit ihr, noch nicht. Weil der Sex das Wichtigste war. Und weil er nicht sicher war, ob sie zueinander passten. Also hatte er für sie ein Zimmer eingerichtet. Sie schliefen getrennt. Aber die Tür zu seinem Schlafzimmer stand offen, und er hörte, wenn sie zur Toilette ging. Und manchmal vor seiner Tür stehen blieb und horchte. Doch er bewegte sich nicht.
Am letzten Tag vor der Abreise sagte sie: »Du willst mich nicht.« Sie sagte es genau in dem Augenblick, als er sicher war. Sicher, dass er sie wollte.
»Ich will dich«, sagte er, und sie machte das Radio an. Sie tanzten. Sie tanzten fast zwei Stunden und küssten sich wie Teenager. Küssen als Höhepunkt. Aber in dieser Nacht kam sie in sein Schlafzimmer und legte sich neben ihn. Vorher hatte sie geduscht,und wieder roch er ihre Haut. Sie war nackt. Plötzlich sah er sie nackt, und sie war so zerbrechlich. Ein kleiner Körper, befreit von den Pullovern und Jacken, unter denen sie sich versteckt hatte.
Sie lag neben ihm und wartete auf ihn.
Und zum ersten Mal in seinem Leben spürte Loderer eine Erregung, ohne sich vorher etwas Unsauberes gedacht zu haben. Er streichelte sie und spürte, wie ihre kleinen Finger seine Haut berührten. Und er sträubte sich nicht. Er liess es geschehen und hatte Gänsehaut.
Sie schauten sich an und sagten kein Wort. Aber der Raum war erfüllt von Sehnsucht und Verlangen. Und als er spürte, dass sie bereit war, drang er in sie ein, und sie schauten sich an. Sie lag auf dem Rücken, und er war in ihrem Geschlecht und bewegte sich nicht. Er war steinhart, aber mit einem Schwanz voller Wärme. Er war erregt und gleichzeitig voller Zärtlichkeit. Er hatte Lust und spürte, dass sie passte. Er wollte sagen: Deine Möse passt zu meinem Schwanz, aber er sagte nichts. Sie vögelten stundenlang, und stundenlang flüsterte sie ihm Worte ins Ohr in einer ihm fremden Sprache. Liebe Worte, Worte voller Leidenschaft und Hoffnung. »Filip«, sagte sie, und er sagte: »Swenja«, und alles war klar. Noch nie hatte er mit Liebe vögeln können. »Danke«, sagte er, und sie sagte: »Ich danke dir.«
»Ich will dich«, sagte er. »Swenja, ich will dich. Nimmst du mich?«
»Ich will dich«, sagte sie. »Filip, nimmst du mich?«
»Die Frau entscheidet«, sagte er und wartete.
Bis Swenja sagte: »Ja.«
Er weinte vor Glück, und sie wischte seine Tränen ab und weinte vor Glück, und er wischte ihre Tränen ab, und sie klebten aneinander, bis es hell wurde.
Ein paar Wochen später kam die kleine Frau mit vier grossen Koffern, mit allem, was sie hatte. Und blieb. Und jede
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