Die Kanzlerin - Roman
Persönlichkeiten.«
»Herr Kranich, Sie sind ein Mensch, bei dem es schwerfällt, überhaupt eine Meinung zu haben, und ich bin wohl nicht die Erste, die Ihnen das sagt. Oder was meinen Sie?«
»Ich meine, dass Sie eine Politikerin sind, die Meinungen nicht sehr ernst nimmt.«
»Stimmt haargenau, Herr Kranich. Weil ich nämlich meine, dass jeder alles meinen kann und das auch darf. Ich aber will etwas wissen und nicht etwas meinen. Wissen Sie etwas Wichtiges?«
Es klingelte, und wie immer schreckte die Kanzlerin auf. Zu schrill, zu laut, seit Wochen wollte sie sich schon beim Hausmeister darüber beschweren.
Brack war da und sagte: » Ach, besser wär’s, ihr alten Knaben, / ein Rückgrat überhaupt zu haben / im Leben und daheim im Laden / und nicht bei völkischen Paraden. Klabund«, und wenn man bleich werden kann vor Wut, dann stand jetzt ein sehr bleicher Chef des Bundeskriminalamtes in ihrer Wohnung. »Ich nehme an, Sie kennen Klabund, Frau Kanzlerin. Sie haben sich ja mit Herrn Mozart immer so nett ausgetauscht, mobil.«
»Das eben vorgetragene Zitat kenne ich nicht«, sagte die Kanzlerin in ungewöhnlich mildem Ton.
»Der Herr Bossdorf, der mausetote Redenschreiber …«, sagte Brack und machte eine Pause. Aber er beherrschte sich und blieb im Rahmen der Lautstärke, die ihm angesichts der Umstände zuzubilligen war. »Wir haben die Festplatte von Herrn Bossdorf untersucht, und Klabund taucht da sozusagen als Virus auf. Ein Klabundbefall sozusagen. Ich höre mich gern reden – es ist so unterhaltend, sich zuzuhören, und so weiter. Womit der Fall sozusagen klar ist, Frau Kanzlerin. Bossdorf war Mozart.«
»Das ist zwar eine wirklich unangenehme Botschaft, Herr Brack, aber ich gehe davon aus, dass Sie aufgrund dieser Erkenntnis nun einen tauglichen Ansatz haben, um diese Geschichte aufzuklären. Ich zumindest bin immer froh, wenn ich wieder einmal etwas schlauer geworden bin. Geht Ihnen das nicht auch so?«
»Es gab immerhin einmal einen Kanzler Willy Brandt, der wegen eines Spitzels sein Amt verloren hat.«
»Mozart hat mich gewarnt, Herr Brack. Sie vergleichen Äpfel mit Birnen, aber wenn wir schon im Gemüseladen sind: Haben Sie eine Ahnung davon, was sich auf den Finanzmärkten derzeit zusammenbraut, auch in Deutschland? Das kostet mich mehr Nerven als ein offenbar kranker Mitarbeiter des Bundespresseamtes, den ich im Übrigen persönlich nur sehr oberflächlich gekannt habe.« Brack hatte sich etwas gefasst, und die Kanzlerin fuhr fort: »Wenn sich Ihre Körpertemperatur weiter normalisiert, dann werden Sie in ein paar Minuten rosarote Bäckchen haben. Wobei mich schon interessieren würde, ob es Fakten gibt im Zusammenhang mit der Enttarnung von Mozart, über die ich informiert sein muss.«
»Er hat seine Mutter gehasst«, sagte Brack, »er war schwul, unglücklich und offenbar ein süchtiger Surfer.«
»Und welche Spuren hat er hinterlassen?«
»Lyrische, wie gesagt, Klabund, Morgenstern: Der Körper ist der Übersetzer der Seele ins Sichtbare. «
»Interessant«, sagte die Kanzlerin.
»Morgenstern«, sagte Brack. »Und Pornofilme. Stand auf kleine Jungs und Stricher.«
»Und was«, fragte die Kanzlerin, »bleibt unter dem Strich an Erkenntnissen, wenn man Mozart auf den Boden der Tatsachen stellt?«
»Er hat auf seiner Festplatte praktisch nichts gelöscht, und wir fanden nichts, was Bossdorf in Verbindung bringen könnte mit irgendeiner Terrorgruppe.«
»Also ein Spinner.«
»Vielleicht«, sagte Brack, »vielleicht aber auch nicht.«
»Dann wünsche ich Ihnen noch frohes Schaffen und bitte Sie, mich jetzt zu entschuldigen, weil ich ehrlich gesagt ein ausgeprägtes Bedürfnis danach habe, meine paar Urlaubstage endlich unbeschwert zu geniessen. Sie melden sich, wenn es Neuigkeiten gibt?«
»Offen gesagt, Frau Kanzlerin …«
»Reden Sie nur ausnahmsweise offen mit mir, Herr Brack?«
»Offen gesagt, muss ich mir eine solche Tonart auch von der deutschen Kanzlerin nicht gefallen lassen.«
»Doch, Herr Brack, das müssen Sie. Und wenn es Sie ermuntert, kann ich Ihnen gerne noch einen Witz erzählen: Kommt ein Mann zum Psychiater und sagt: ›Herr Psychiater, ich weiss, was mir fehlt. Bin nur da, um eine Zweitmeinung zu hören.‹«
Brack reagierte nicht.
»Sie kennen den Witz?«
»Nein«, sagte Brack.
»Dann möchte ich jetzt gerne Ihre Meinung dazu hören.«
»Ich wünsche Ihnen erholsame Urlaubstage, Frau Kanzlerin, und empfehle mich«, sagte Brack und ging so
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