Die Kanzlerin - Roman
leichenblass, wie er gekommen war.
»Er ist humorresistent«, stellte die Kanzlerin fest, und es klang, als ob sie sich bei Kranich entschuldigen wollte.
D ienstag, 12. August
Klausen runzelte die Stirn, als er die E-Mail las:
»Werter Herr Bundespräsident, geehrte Damen und Herren Bundesräte
Wie Sie wissen, wird die deutsche Kanzlerin zusammen mit einigen Ministern morgen in die Schweiz reisen, den Rheinfall besuchen und anschliessen in einem Zürcher Hotel logieren. Am Donnerstag, 14. August, versammelt sich die Gruppe dann frühmorgens um 6 Uhr auf der Schwägalp. Ich habe mich kurzfristig dazu entschlossen, mich dieser Reisegruppe (individuelle Anfahrt) anzuschliessen, und freue mich auf das Treffen mit Mitgliedern der Schweizer Regierung auf dem Säntis. Es ist in gewissem Sinne auch mein Berg, da ich bekanntlich in St. Gallen studierte und als Student jede Gelegenheit nutzte, um die einmalige Aussicht auf dem Säntis zu geniessen. Das war mir in den letzten Jahren leider nicht möglich. Umso mehr freue ich mich nun auf diesen Ausflug. Ich hoffe, dass ich Ihnen mit dieser Ankündigung keine zusätzlichen organisatorischen Probleme bereite. In diesem Zusammenhang: Spezielle Sicherheitsvorkehrungen für meine Person sind nicht nötig, weil mich zwei Personenschützer auf die Schwägalp begleiten werden.
PS: Beim Besuch des Rheinfalls bzw. beim Essen in Zürich kann ich leider nicht dabei sein.
Mit hochachtungsvollen Grüssen
Nico Glanzmann
Vorstandsvorsitzender Deutsche Bank AG
Frankfurt am Main, 12. August«
Klausen war in seiner Funktion als Leiter der Bundeskanzlei eine Art Chefadministrator der schweizerischen Bundesverwaltung, in mancher Hinsicht vergleichbar mit dem deutschenKanzleramtschef, in mancher aber auch nicht. So hatte er etwa keinerlei Zuständigkeiten im Bereich der Geheimdienste. Nicht dass er sich das gewünscht hätte, aber bei den Vorkehrungen, die es in den letzten Tagen zu treffen galt mit Blick auf die deutschen Besucher, wäre es schon hilfreich gewesen, wenn er etwas mehr Einblick in das Tun und Lassen der Dienste gehabt hätte.
Doch was zu organisieren war, das war gemacht. Die Analyse von Inlandsgeheimdienstchef Lukas Falter zur generellen Sicherheitslage war beruhigend ausgefallen: Es gab keinerlei Hinweise auf eine spezielle Bedrohungssituation. Erfreulich und erstaunlich zugleich war, dass weder deutsche noch schweizerische Medien bislang über diese Säntisreise berichtet hatten, man also das Nötige in aller Ruhe veranlassen konnte. Die betroffenen Kommandanten der Kantonspolizeien Zürich, St. Gallen, Appenzell Ausserrhoden und Schaffhausen waren informiert, die Luftwaffe garantierte den pünktlichen Transport der Deutschen vom Militärflugplatz Dübendorf auf die Schwägalp und den Helikoptereinsatz auf dem Flughafen Bern-Belp. In diesem Zusammenhang hatte ihm Bundespräsident Diller mitgeteilt, dass sich die Bundesräte Coradi, Jaeger, Fässler und Storm dazu entschlossen hatten, die Gäste auf dem Säntis zu empfangen.
Klausen repetierte es für sich: Auf dem Berg waren also der Verkehrsminister, die Aussenministerin, der Verteidigungsminister und der Finanzminister, schweizerischerseits. Deutscherseits die Kanzlerin, der Finanzminister, die Enwicklungshilfeministerin, der Agrarminister und der Umweltminister. Eine illustre Runde, dachte Klausen und rechnete Deutsche-Bank-Chef Glanzmann noch dazu. Drei Frauen, sieben Männer, aber tanzen werden sie ja nicht, dachte Klausen und überlegte im selben Atemzug, ob er irgendetwas vergessen hatte.
Die strategischen Punkte waren besetzt, ein Notfallplan für alle erdenklichen Zwischenfälle lag vor, und der Dienst für Analyseund Prävention von Lukas Falter hatte in Zusammenarbeit mit der Bundeskriminalpolizei und den örtlichen Polizeidienststellen überprüft, was in solchen Situationen zu überprüfen war. Da gab es keinen Dolendeckel, der auf den Zufahrtsstrassen zum Rheinfall nicht versiegelt wurde, das Zürcher Hotel war weiträumig abgesichert, und Mitarbeiterinnen der Bundeskripo waren platziert: in der Küche, beim Service, an der Rezeption. Gleiches galt für die Panoramarestaurants auf dem Säntis. Und nicht zuletzt hatte das zuständige Sprengstoffteam vor zwei Stunden die Seilbahnstationen penibel untersucht. Dabei wurde sogar der Feuerlöscher in der Säntisbahn sicherheitshalber ausgewechselt.
Klausen lächelte. Das deutsche Bundeskriminalamt und der Bundesnachrichtendienst hatten zwar offiziell ein
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