Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Kanzlerin - Roman

Die Kanzlerin - Roman

Titel: Die Kanzlerin - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lenos Verlag
Vom Netzwerk:
Luft geht es und den Atem der Erde …«
    Die Kanzlerin drückte Kranich noch einmal den Ellbogen in die Rippen, aber er war nicht mehr zu bremsen. »Wenn Sie erlauben, Herr Minister, ich kann Ihnen die Stelle vortragen.«
    »Aha«, sagte Engel und schien plötzlich nicht mehr sehr interessiert.
    »Sagt man nicht …«
    »Hab ich doch gesagt.« Engel war nun schon sehr missmutig.
    »Sagt man nicht, / Dass auch ein Ball, geworfen über die Grenze / Der Luft, bis wo der Erde Atem nicht mehr hinreicht, / Nicht wieder rückwärts fallen könne, nein, / Er müsse kreisen, ewig, wie ein Stern.«
    »Der Mann konnte nicht Fussball spielen«, sagte Engel, und das Gelächter von Kiki Ritz liess ihn noch eins draufsetzen: »Und der Mörike verstand auch nichts von Fussball« – eine Steilvorlage offenbar für Merrit Amelie Kranz, die meinte: » Bis wo der Erde Atem  – ich finde das auch sprachlich nicht sehr gelungen.«
    Die Kanzlerin sagte: »Kommen Sie, Kranich, wir gehen auf die andere Seite des Bootes, hier versinkt der Verstand in den Untiefen eines zugegebenermassen eindrucksvollen schweizerischen Gewässers.« Sie erhob sich. »Komisch, dass man von einem Naturschauspiel spricht, wenn die Natur sich so kraftvoll und gänzlich unverstellt zeigt, was den Menschen offenbar Angst macht. Aber die Natur spielt kein Theater mit uns.«
    Als sie wieder bei der Gruppe waren, war Florian Delbrück schon fast alle Zahlen los. »Im Durchschnitt stürzen im Rheinfall 373 Kubikmeter Wasser pro Sekunde über die Felsen. Noch kein Fisch hat es geschafft, nach oben zu kommen. Das kann nur der Aal, weil er sich seitlich über die Felsen hochschlängelt.« Delbrück sprach jetzt von der letzten Eiszeit, und die Kanzlerin fröstelte. Sie hätte ihre Windjacke mitnehmen sollen. »In seiner heutigen Form aber entstand der Rheinfall erst vor 14 000 bis 17 000 Jahren.«
    »Gewaltig«, sagte Engel, »einfach gewaltig«, und Merrit Amelie Kranz stimmte ihm zu: »14 000 Jahre, wenn man sich das vorstellt. Als Finanzminister wäre es jedenfalls eine gewisse Herausforderung, einen Haushalt vorzulegen beispielsweise für die Jahre 14 000 bis 17 000« – ein Scherz, der gut bei Engel ankam.
    Die Kanzlerin spürte, dass er immer noch an seiner Mörike-Niederlage kaute. »Ich möchte Ihnen was ins Ohr flüstern, Kranich«, sagte sie und hauchte: »Wenn Sie noch ein Mörike-Gedicht kennen, dann tragen Sie das jetzt bitte vor. Und ich betrachte unseren Engel.«
    Kranich war plötzlich fast übermütig. »Herr Minister Engel, mir ist da noch ein Mörike-Gedicht präsent.«
    »Aber keine Fussballlyrik mehr«, sagte Engel.
    »Es singen die Wasser im Schlafe noch fort / Vom Tage, / Vom heute gewesenen Tage.«
    »Bravo«, rief Merrit Amelie Kranz begeistert, »bravo. Das ist ein wirklich schönes Gedicht.«
    »Hat vielleicht einer der Herren Personenschützer einen Umhang oder eine Jacke oder Decke?«, fragte die Kanzlerin. »Ich friere. Und ich habe Hunger und nehme an, dass wir heute Abend in Zürich Zürcher Geschnetzeltes essen werden.« Kranich nickte. Dann zwitscherte es. Die Kanzlerin las eine SMS und schüttelte den Kopf. »Herr Kranich, kennen Sie einen Filip?«
    »Warum?«
    »Weil mir ein gewisser Filip geschrieben hat, und das ziemlich primitiv.«
    Der Rheinfall schüttete sich aus, und die Kanzlerin las vor: »Mein Hürchen, bin unterwegs und steinhart. Bist du heute schon explodiert?«
    »Im Bundespresseamt arbeitet ein Filip Loderer«, sagte Kranich.
    »Von der Anrede einmal abgesehen, Kranich: Die Frage scheint mir generell berechtigt. Sofern dieser Filip einen Exploit damit meinen sollte.«
    »Sie antworten ihm?«
    Die Kanzlerin simste, schmunzelte, und Kranich las: »Herr Filip, zu Recht erwarten Sie von mir einen Exploit. Allerdings kann ich nicht jeden Tag eine Grosstat vollbringen. Vielmehr bin ich auch auf die Heldentaten meiner Bürger angewiesen. Die dafür notwendige Härte gegenüber sich selbst scheinen Sie ja zu haben. Viel Glück also, Ihre Kanzlerin.«
    »Und das wollen Sie abschicken?«
    Die Kanzlerin drückte auf »Senden«.

L oderer zuckte zusammen, als er die SMS las, und meldete sich sofort bei Jenny: »Jenny-Hürchen, hast du mir eben eine SMS geschickt?«
    »Nein«, simste Jenny, »bei mir geht alles drunter und drüber, und ich freue mich sehr, dass du bald drüber bist und ich drunter oder umgekehrt. Bis bald, dein Hürchen.«
    Loderer hatte ein komisches Gefühl im Magen und kontrollierte seine

Weitere Kostenlose Bücher