Die Kanzlerin - Roman
die Frau Kanzlerin sich nicht bedroht fühlt von der Schweizer Armee. Was macht sie eigentlich gerade?«
Samuel schwieg.
»Sämi, was macht die Kanzlerin? Isst sie, trinkt sie, mit wem redet sie?«
»Seh sie im Moment nicht. In der Gondel geht die Post ab, Köbi, und die Bar dreht sich. Ich kann sie nicht sehen.«
»Die unsichtbare Kanzlerin«, sagte Jakob, »sie wird ihrem Ruf gerecht.«
»Sie steht für mehr Transparenz in der Politik«, sagte Samuel, und Jakob lachte. Dann gab er Schub, und der Vogel entfernte sich wieder von der Gondel.
»Einsatzzentrale. Frohe Botschaft: Den Deutschen geht es gut. Kommen.«
»Helipilot Jakob, verstanden. Den Deutschen geht es gut. Warum? Kommen.«
»Frage verstanden. Antwort: Keine Ahnung. Aber alle sind fröhlich und lachen. Wir drehen jetzt ab und fliegen auf den Säntis. In zehn Minuten ist die Gruppe oben. Kommen.«
»Nein. Ihr bleibt auf Sichtweite der Kabine. Kommen.«
»Verstanden. Fliegen auf Sichtweite bis zum Gipfel. Ende.«
» P st, pst, psssssssssst!« Valentin Hendricks legte den Finger auf seine verschmitzt lächelnden Lippen und sagte: »Wertes halbes Kabinett, da zischt etwas, und das klingt fast so, als ob da ein Reifen ein lockeres Ventil hat oder – pst: Nein, es ist genau der Ton, den man hört, wenn den Sozialdemokraten wieder einmal die Puste ausgeht.«
»Dem Geräusch gehe ich nach«, sagte Kiki Ritz und rappelte sich auf. Er hatte eine pflaumengrosse Beule an der Stirn, und Merrit Amelie Kranz sagte: »Kiki, du siehst aus wie ein Einhorn.«
»So heisst unsere Cateringfirma«, sagte Yvonne, und Kiki Ritz drückte ihr einen lauten Schmatzer auf den Mund. Er hattevergessen, wohin er gehen wollte, aber an den Kuss auf Yvonnes Lippen konnte er sich noch gut erinnern, also küsste er sie noch einmal auf den Mund.
»Ich habe den Ruf, ebenfalls ein guter Küsser zu sein«, sagte Valentin Hendricks, »und ein guter Schwängerer«, und suchte Laetitia. Sie stand hinter der Theke und kotzte auf den Boden. »Aber, aber«, sagte Hendricks, »zu viele Häppchen sind ungesund. Sagen Sie mir, wenn Sie wieder küssen können und ob es lieber ein Junge werden soll oder ein Mädchen.«
»Und wird Valentin Hendricks wohl Agrarminister bleiben, oder wird er bald neuer Bayernboss?«, fragte Kiki Ritz. »Entschuldige, Valentin, aber da muss ich einfach lachen. Ich weiss nicht, warum, aber ich muss.«
»Aber du lachst ja gar nicht«, sagte Hendricks.
»Es ist ein inneres Lachen«, sagte Kiki Ritz, »meine Muskeln lachen, auch meine Herzmuskeln.« Er drückte eine Hand auf seine Brust und sagte mit beherrschter Stimme zu Lothar Engel: »Engelchen, du wirst nie Kanzler. Dafür bist du zu rund. Du bist kugelrund. Du siehst aus wie ein Rollmops. Und Möpse« – er schaute sich um –, »wenn ich an Möpse denke, dann nicht an so ehrgeizige Hunde wie dich, du Engel.«
»Dagegen hat diese Laetitia wirklich wunderbare Möpse. Unsere Fruchtbarkeitsgöttin. Und wer dafür ist, dass sie ihre Möpse jetzt endlich allen zeigt, soll die Hand erheben. Einfache Mehrheit genügt.« Ein Hustenanfall unterbrach Engel kurz, und Merrit Amelie Kranz sagte: »Alte Säue. Gibt’s denn hier nur alte Säue?«
»Dagegen«, kicherte Deutsche-Bank-Chef Glanzmann, »möchte ich mich doch verwahrt haben.«
Kiki Ritz hob sein leeres Glas. »Ein Prosit auf die ganze Saubande, und das sind wir doch, eine alte oder auch junge Saubande. Jedenfalls eine Bande.« Sagte es und griff sich ans Knie. »Bänderriss«, sagte er, und Engel kreischte: »Sie hat mich betatscht, FrauMinisterin Merrit Amelie Kranz hat mich betatscht, und das lasse ich mir nicht gefallen.«
»Pst, ich höre wieder was«, sagte Valentin Hendricks, legte seinen Finger auf den Mund, was seine Lippen so kitzelte, dass er seine Schultern hochzog und laut seufzte. Und sein Seufzer war lauter als das Geräusch, das er längst wieder vergessen hatte.
Merrit Amelie Kranz stand an der Scheibe und drückte ihre Nase so lange auf das Glas, bis sich ihr Leibwächter Sorgen machte. »Frau Ministerin, verletzen Sie sich nicht.«
»Pst«, sagte Merrit Amelie Kranz jetzt auch, und nun schauten alle zu ihr. »Ich sehe etwas«, sagte sie. »Es ist so schön, so erschreckend schön. Die Sonne fällt vom Himmel. Die Strahlen sind noch da, aber die Sonne ist vom Himmel gefallen.«
»Jeder verliert mal sein Gleichgewicht«, sagte Engel, »das kann auch der Sonne passieren.«
Mehrere Personen standen jetzt hinter Merrit Amelie Kranz,
Weitere Kostenlose Bücher