Die Kanzlerin - Roman
Hackbrett. Beim Appenzeller Hackbrett aber sind die Saiten zur Hälfte durch einen Steg aufgeteilt, in Quinten und Sexten – vereinfacht gesagt, sind die Saiten chromatisch angeordnet.«
»Wenn Sie Ihre Bilanzen erläutern, klingt das in aller Regel verständlicher«, sagte die Kanzlerin, »mir fehlt das Basiswissen, um Ihnen zu folgen, was allerdings auch für so manche Geschäfte gilt, die Sie zu tätigen pflegen. Erfolgreich übrigens, das möchte ich betonen. Unverständlich erfolgreich.«
»Das Hackbrett ist ein Saiteninstrument …«
»So weit konnte ich Ihren bisherigen Ausführungen schon folgen, Herr Glanzmann.«
»… und die Besonderheit ist, dass die Saiten mit kleinen Schlägeln oder Klöppeln aus Holz angeschlagen werden. Pizzicato«, sagte Glanzmann. »Zupft man die Saiten mit den Fingern, gibt das spezielle Effekte.«
»Um musikalische Gewinne zu erzielen, sozusagen«, stellte die Kanzlerin fest. »Aber jetzt möchte ich unser Pärchen tanzen sehen. Den bayerischen Bären und unsere reizende rothaarige Frankfurter Hexe.«
Valentin Hendricks verbeugte sich, Merrit Amelie Kranz streckte ihm ihre Hände hin wie ein junges Ding, und Titus Annaheim liess aufspielen. Es war so rührend, dass Kiki Ritz zwei Gläschen Weisswein herunterschüttete und dann mit Yvonne schäkerte, der zweiten Serviererin. Eine Blondine. »Blond bin ich auch«, sagte die Kanzlerin, und ihr Finanzminister hatte ein schlechtes Gewissen: »Schöne Yvonne, ich seh da eine mindestens so schöne Frau wie Sie und glaube, dass sie diejenige ist, die den ersten Tanz verdient hat.« Er liess Yvonne stehen und ging strahlend auf die Kanzlerin zu. »Frau Kanzlerin, darf ich bitten?«
»Später vielleicht«, sagte sie, »denn jetzt nehm ich mir zuerst einmal den Engel an die Brust.«
»Lothar, ich weiss, dass ich dir das Umweltthema geklaut habe und du damit für die Sozis jetzt weniger punkten kannst als erhofft. Aber es war unvermeidlich. Und ich hoffe, dass ich dich damit nicht beleidigt habe. Und wenn, dann wäre jetzt der richtige Augenblick, um mich bei dir dafür zu entschuldigen. Es war nicht persönlich gemeint.«
Engel war überrascht. »Wir machen die Umwelt doch zusammen, Xenia.«
»Ich mache die Welt und du das Drumherum, insofern gebe ich dir recht, Lothar.«
Lothar Engel stand demonstrativ stabil da wie immer, die Arme hinter dem Rücken verschränkt.
»Die Art und Weise, wie du dich hinzustellen weisst, das imponiert mir«, sagte die Kanzlerin. Engel wirkte etwas verlegen. »Kein Grund, sich zu schämen, Lothar. Ein Fels in der Brandung, auf dem Schiff beim Rheinfall, gefasst auf stürmische See, und jetzt in der Seilbahn, allen Winden trotzend, breitbeinig, standhaft, obwohl du, ehrlich gesagt, zu einer gewissen Rücklage neigst.« Sie wartete. »Werde ich nicht aufgefordert von dir, Lothar?«
Engel führte perfekt, obwohl diese Appenzeller Musik nicht einfach zu tanzen war. Eine schwindelerregende Musik. »Bei der FDJ haben wir auch immer getanzt«, sagte die Kanzlerin, »und wenn einer führen konnte, dann habe ich das immer als etwas sehr Angenehmes empfunden.« Plötzlich liess sie Engel stehen und hielt eine kurze Ansprache: »Liebe Anwesende, ich freue mich sehr auf diesen Tag, und ganz besonders freue ich mich für unsere Schweizer an Bord, für Glanzmann und Kranich und die Schweizergarde, die uns begleitet, wenn ich den Schweizer Geheimdienst mal so nennen darf. Zumindest die Sonne hat heute bewiesen, dass sie den Schweizern nicht gram ist und bereit, auch ein Land erstrahlen zu lassen, das dunkelste Geheimnisse zu hüten hat. Ich nehme das als Lichtblick, und im Übrigen würde ich jetzt gern noch einTänzchen machen, und zwar mit meinem persönlichen Berater Kranich, es sei denn, er rät mir davon ab.«
Kranich nahm den Arm der Kanzlerin, Engel applaudierte, und Kiki Ritz sagte: »Der nächste Tanz gehört mir.«
Schon nach wenigen Schritten wurde Kranich leichenblass und rang nach Luft.
»Kranich, Sie hyperventilieren schon wieder. Atmen Sie ganz ruhig ein und ebenso ruhig wieder aus.«
»Höhenkoller«, rief Titus Annaheim und liess seine Musiker weiterspielen.
»Ich muss hier raus«, sagte Kranich.
»Gibt es auf dem Weg zum Gipfel eine Zwischenstation?« Die Kanzlerin machte sich jetzt ernsthaft Sorgen. Kranich schwitzte kalt, und das war kein gutes Zeichen. »Sein Kreislauf«, sagte sie zu Caspers, der einen Becher kalte Schokolade geholt hatte. »Er muss raus. Und eine Zwischenstation
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