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Die Kanzlerin - Roman

Die Kanzlerin - Roman

Titel: Die Kanzlerin - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lenos Verlag
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ergänzte er.
    »Glauben Sie wirklich, Herr Kranich, dass ich einen persönlichen Berater beschäftige, der mir solch banale Ratschläge erteilt? Oder fällt Ihnen vielleicht doch noch etwas Relevantes ein?«
    »Was stand denn in dieser SMS?«
    »Nichts, worüber ich Sie informieren müsste oder wollte.«
    »Eine Variante wäre, noch eine Weile zuzuwarten, um vielleicht etwas in Erfahrung zu bringen.«
    »Was soll ich denn erfahren?«
    Er kannte ihre Neugier. Er wusste, dass sie den Apparat nicht sofort mobilisieren würde. »Ich rate zu grösster Vorsicht«, mahnte er. »Wer auch immer Ihnen anonym schreibt, will Sie manipulieren.«
    »Genauso ist es, Kranich, genauso ist es. Und ebendas ist das Reizvolle an dieser an sich eher unerfreulichen Geschichte. Denn immerhin scheint meine Rufnummer ja so populär zu sein, dass ich es nun nicht nur mit einer Wählerschaft zu tun habe, deren mitunter sonderbares Verhalten Woche für Woche von Instituten ergründet wird, sondern mit einem Wähler, der speziell für mich ausgesucht wurde, sozusagen dem Wähler. So nennt er sich jedenfalls.«
    »Testen Sie ihn«, sagte Kranich.
    »Sie raten mir, ihm zu schreiben?«
    »Stellen Sie ihm eine Frage.«
    »Lieber Herr Kranich, wenn es eine Sache gibt, die mir gewiss scheint, dann ist es die: Wähler wollen keine Fragen hören von uns Politikern, sondern Antworten. Und ich bin mir ziemlich sicher, dass auch dieser sogenannte Wähler von mir eine Antwort erwartet. Die Frage ist nur, auf welche Frage.«
    »Fragen Sie ihn das«, sagte Kranich und fragte: »Haben Sie zumindest Haxer, ich meine den Herrn Kanzleramtschef, über diese Angelegenheit informiert?«
    »Es wäre mir lieber, wenn es dazu nicht kommen müsste. Schliesslich hat Simsen grundsätzlich einen sehr privaten oder zumindest persönlichen Charakter, auch wenn sich unser Innenminister Benedikt Eisele mit dieser Einsicht eher schwertut.«
    »Aber Sie sind doch seiner Auffassung, wenn es um Onlinedurchsuchungen geht?«
    »Bin ich, Kranich, aber ich bin auch ein Privatmensch, der sich jetzt das Recht herausnimmt, sich persönlich einer Provokation zu stellen, die es in dieser Art und Weise vermutlich noch nie gegeben hat. Und glauben Sie mir, Kranich: Wer mit mir simst, der bleibt nicht lange anonym. Und dass der Wähler endlich sein wahres Gesicht zeigt, das liegt auch im Interesse der Öffentlichkeit, finden Sie nicht auch?«
    Kranich wusste, dass das Gespräch damit beendet war, und sagte gar nichts mehr, obwohl die Kanzlerin vor ihm stand und offenbar noch etwas von ihm hören wollte. Obwohl es sie nicht mehr interessierte. Sie hatte sich entschieden. Sie setzte sich ohne Not einem Risiko aus, weil ihre Neugier unersättlich war.
    »Sie dürfen mir zum Abschluss ebenfalls eine Frage stellen, Herr Kranich. Wenn Sie eine haben.«
    »Haben Sie Angst, Frau Kanzlerin?«
    »Ja, Herr Kranich. Die habe ich.«

    Kranich verliess ihr Büro und wusste nicht, wohin er gehen sollte. Bei einem Treffen mit Europaparlamentariern wäre er willkommen. Im Café Einstein warteten Medienleute auf ihn, wie jeden Tag um diese Zeit. Ein grüner Abgeordneter wollte etwas mit ihm besprechen. Eine junge Referendarin hatte ihm ihre Visitenkarte gegeben, er könnte sie anrufen.
    Stattdessen setzte er sich an seinen Schreibtisch, öffnete seine Mappe und wühlte in Papieren, bei denen es sich fast ausnahmslos um Rechnungen handelte. Mahnungen, letzte Mahnungen, Vollstreckungsbescheide.
    Objektiv gesehen, war seine Situation hoffnungslos. Aber das war sie auch schon vor einem halben Jahr gewesen. Doch damals war er noch gut drauf, trotz allem. Und niemand wäre auf die Idee gekommen, dass er kokste. Und zwar darum nicht, weil er das Verhalten von Koksern ganz genau studiert hatte. Alle machten sie den gleichen Fehler, alle redeten sie zu viel, hörten nicht zu, hielten Vorträge, erklärten erregt die Welt und putschten sich selbst rücksichtslos in den Vordergrund.
    Kranich aber hatte beschlossen, ruhig und im Zweifelsfall allein zu bleiben, wenn ihn ein Stimmungshoch trieb, wenn er sich zu allem fähig fühlte, wenn er sich vor nichts mehr scheute und keinen Schrecken mehr kannte. Und auch jetzt sortierte er die Papiere seiner Verschuldung ohne Hektik, obwohl er registrierte, wie die Angst ihn kurzatmig machte.
    Er musste das regeln. Er musste definitiv eine Lösung finden. Schwarz oder rot. Gerade oder ungerade, so und nur so spielte er im Casino beim Alex, einmal im Monat, seit einem halben Jahr.

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