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Die Kanzlerin - Roman

Die Kanzlerin - Roman

Titel: Die Kanzlerin - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lenos Verlag
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das »liebe« in einer solchen Situation angemessen? Oder müsste der Innenminister sich an die »sehr verehrten Zuschauerinnen und Zuschauer« wenden? Aber das Volk als Zuschauer, das geht nicht, dachte er, wobei es zu berücksichtigen galt, dass der Innenminister jedes Wort scheuen musste, das die ohnehin panikartigen Reaktionen noch hätte steigern können, sich also um eine sachliche Wortwahl bemühen musste, bei allen Emotionen, die er durchaus auch formulieren sollte. »Liebe Mitbürgerinnen und Mitbürger« war eine Anrede, die zum Innenminister passte, dachte Loderer und stellte sich dabei die Dialektfärbung vor, mit der Eisele alle seine Ansprachen hielt und damit nicht selten versuchte, seine in der Sache oft harte Gangart milder klingen zu lassen. »Liebe Mitbürgerinnen und Mitbürger, noch nie in meinem Leben ist mir eine Rede so schwergefallen wie diese …« Das wäre zwar kein sehr origineller Anfang, aber passend für einen Politiker, der nur in engstem Kreis offenbarte, dass er sehr wohl sehr originell denken konnte, sich aber öffentlich meist schematisch und beamtenhaft ausdrückte – wobei er nicht der Einzige war, der sich verkrampfte im Bemühen, kompetent zu wirken.
    Loderer spürte, wie die Lust in ihm aufstieg, diese Frau Male machte ihn nervös. Was er unter »einzigartigen Augenblicken« verstand und wie er Liebe definierte, wollte sie wissen.
    »Frau Male«, schrieb er, und das genügte bereits. Die Lust hatteihn schon wieder so gepackt, dass er sich zuerst einen Kaffee holte.
    »Frau Male, in einzigartigen Augenblicken zeigt sich plötzlich eine Wahrheit. Und in solchen Momenten kann ich das Leben für einen kurzen Augenblick geniessen. Ich leiste keinen Widerstand mehr. Ich bin offen und habe das Gefühl, dass ich das Leben einfach geschehen lassen kann und dass es gut kommt so. Und in diesen einzigartigen Augenblicken fühle ich mich wie selbstverständlich als Teil des Geschehens. Ich gebe meinen voyeuristischen und kontrollierenden Status auf und freue mich einfach. Weil ich ein Lebenszeichen wahrnehme und weiss, dass ich selbst so ein Zeichen bin. Aber leider gibt es diese einzigartigen Augenblicke nur für Augenblicke. Nur für Sekunden oder Minuten, in extrem glücklichen Fällen für ein paar Stunden ist es so, dass kein Spielchen gespielt wird. Dass da ist, was ist, und nichts ist verstellt.«
    Und zur Liebe? Was wollte er dazu sagen? Dass Liebe glücklich machen kann, dass es aber noch viel mehr Glück braucht, um sie zu finden?
    Loderer schrieb: »Aber die Liebe, Frau Male, die will ich nicht definieren, nur sagen: Ich habe geliebt und war ein geliebter Mensch. So aber ist es nicht mehr. Ich liebe nicht mehr.«
    Swenja. Sie wollte nicht mehr leben. Sie sagte: »Ich habe nie gedacht, dass ich einmal heiraten werde. Aber ich habe an dich geglaubt.«
    Sie sagte: »Du liebst mich doch.«
    »Ja«, sagte er, »ich liebe dich.«
    »Danke«, sagte sie, »du hast mich gerettet.«
    Dann starb sie, kurz danach.
    Loderer las seinen letzten Satz: »Ich liebe nicht mehr.« Das war hart, das war schroff, das war so abweisend, dass er sich überlegte, den letzten Abschnitt zu löschen. Aber er liess ihn stehen und fügte nahtlos hinzu: »Was mich allerdings erstaunt hat, FrauMale, dass ich dich offenbar schockiert habe. Obwohl du doch so voller Neugier bist und gierig. Grüsse vom Controller.«
    Minuten später nur ihre Antwort: »Neugierig ja, und ja, du schürst meine Gier nach mehr. Aber, Controller, kennst du deine Ängste, und willst du mit mir darüber reden?«
    »Frau Male, darf ich ein andermal über meine Ängste schreiben? Und jetzt nur darüber, wie ich sie vertreibe? Indem ich dir sage, was ich so treibe und als Zuschauer erlebe, wenn andere es treiben, in Pornofilmen zum Beispiel? Wir haben gesagt, dass wir uns absolut ehrlich schreiben, und dazu gehört, dass ich dir sage: Mir geht es um Sex. Und wenn es um Sex geht, dann geht es um Aggressionen. Und wenn ich dir schreibe, dann denke ich an deine rasierte Möse. Dann denke ich an eine Frau, die so vulgär ist wie die Frauen, die ich mir gestern in Videosequenzen angeschaut habe, ersatzweise. Ich nummeriere meine Geilheit, und du kannst mir dann sagen, welche Reihenfolge du wählen würdest:
    1. Eine unglaublich schöne blonde Frau – in deinem Alter etwa, Frau Male – sitzt auf einem grünen Polstersessel. Ihr Gesicht ist verschmutzt vom Samen eines Mannes, dessen Erregung und Explosion man nicht gesehen hat. Aber man

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