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Die Kanzlerin - Roman

Die Kanzlerin - Roman

Titel: Die Kanzlerin - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lenos Verlag
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49 zu 51, das war seine Chance, Monat für Monat. Und morgen war das neue Gehalt auf seinem Konto. Er war im Minus, aber er wusste, dass er das ausgleichen würde, morgen oder in einem Monat.
    Gut, dass sie ihn jetzt nicht auch gefragt hatte.
    Er hätte gesagt: Ja, Frau Kanzlerin, ich habe auch Angst.
    Es gab regelmässige Sicherheitsüberprüfungen im Amt, und niemand wusste, wer wann von wem und wie genau überprüft wurde. Sicher war nur, dass die Prüfer prüften, und das zweifellos professionell. Und immer wenn Kranich ins Büro der Kanzlerin gerufen wurde, war er darauf vorbereitet. Dass sie sagen würde: Herr Kranich, ich habe da eine eher unerfreuliche Nachricht für Sie.
    Kranich ging zur Toilette und schaute in den Spiegel. Er sah keine Freude in seinem Gesicht. Aber er schaute so lange, bis er ein entschlossenes Gesicht sah.

» W er auf dieser Seite eingeloggt ist, gehört dazu, gehört zum Plan, und wer nicht mitmacht oder nicht macht, was dieser Plan von ihm verlangt, stirbt.« Loderer erschrak, als er diese Zeilen las. Im Übrigen waren die Bulli-News gut gemacht: Turnierkalender, Klatsch aus der Szene, Trainingsanleitungen, Tipps. Pétanque ist ein Strategiespiel. Ein Psychospiel. Und ein Spiel für Kinder und alte Leute, die rheumageplagt sind und dieses Spiel trotzdem spielen können, weil die Kugeln aus dem Stand heraus geworfen werden, Metallkugeln, innen hohl, bis zu 800 Gramm schwer, Geschosse, ohne Kanonen abgefeuert, von Menschenhand, ein uraltes Spiel, angeblich schon 460 vor Christus populär. Hatte er sich nicht freundlich eingeloggt bei Cookie & Co? Hatte er nicht alle gegrüsst mit einem »Hallo, da Controller, und dort ist wer?«? Da aber öffnete sich ein Fenster, und eine schmierig rote Schrift flackerte auf, so dass Loderer erst nach und nach entziffern konnte, was da stand, weil die Nachricht nach wenigen Sekunden immer wieder verschwand.
    Er hatte mitgeschrieben und konnte die Botschaft nun durchlesen. Wer hegte da welche Pläne?
    Instinktiv loggte er sich sofort wieder aus, entschlossen, das Ganze zu vergessen und diese Seite nie wieder zu öffnen.
    Ohnehin wollte er an seiner Rede weiterschreiben. Loderer hatte sich angewöhnt, Reden zu simulieren. Reden zu schreiben ohne Auftrag, Reden, die nie gehalten würden, aber trotzdem den Ansprüchen genügten, die er an sich selbst stellte. Meistens nahm er an den morgendlichen Konferenzen gar nicht mehr teil, kurz vor fünf Uhr, wenn sich die Kollegen über die Zeitungen hermachten, die wichtigsten Artikel markierten, einscannten und dann ausdruckten. Jeden Tag musste die sogenannte Kanzlermappe erstellt werden, hundert Seiten Medienecho, was immer dann leichterfiel, wenn es ein dominierendes Thema gab.
    Wie Kollege Bossdorf zu sagen pflegte, ging es bei der Durchforstung der Zeitungen nicht darum, besonders böswillige oder speziell schmeichelhafte Beurteilungen der Regierungsarbeit herauszufiltern, sondern allein um die Relevanz eines Beitrages. Das Bundespresseamt hatte 133 Zeitungen abonniert, wobei sich Loderer nicht daran erinnern konnte, dass die Aachener Nachrichten je in der Kanzlermappe gelandet waren, die Bild-Zeitung dagegen täglich, weil die Redaktion des Springer-Verlags sozusagen ein Konkurrenzunternehmen zur Regierung aufgebaut hatte und gelegentlich sogar aktiver Politik machte als das Kabinett. Item. Im Bundespresseamt arbeiteten vielleicht 500 Leute, und alle eifrig, und darum waren jetzt schon über 13 Millionen Artikel elektronisch gespeichert, und eine spezielle Crew kümmerte sich um die Auswertung von über achtzig nationalen und internationalen Rundfunksendern – ein teurer Spass, den sich die Regierung da leistete: 20 Millionen Euro, um die Kontrolle nicht zu verlieren und im Sattel zu bleiben.
    Redenschreiber schreiben ohnehin nur selten Reden, weil sie meistens vollauf damit beschäftigt sind, die gröbsten Patzer der Regierungspolitiker zu dementieren oder zu korrigieren und in einfreundlicheres Licht zu rücken. »Schönreden für Schröder«, hatte Die Zeit vor Jahren seine Arbeit beschrieben, als er noch in dessen Diensten tätig war. Jetzt schrieb Loderer, was Innenminister Benedikt Eisele sagen könnte, wenn der Kanzlerin etwas passiert wäre. Die Idee war ihm spontan gekommen.
    »Liebe Mitbürgerinnen und Mitbürger, ich habe die traurige Pflicht, Sie darüber zu informieren, dass unsere Kanzlerin seit nunmehr einer Woche verschwunden ist …«
    Die Anrede machte Loderer zu schaffen. Wäre

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