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Die Kanzlerin - Roman

Die Kanzlerin - Roman

Titel: Die Kanzlerin - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lenos Verlag
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nicht kenne und in der du auf die Jagd gehst. Hast du schon eine Verabredung für heute, und mit was für einem Schwanz?«
    »Heute nicht, aber morgen, vielleicht morgen. Heute aber möchte ich noch von deiner Putzfrau hören.«
    »Sie kommt in einer Stunde. Und ich bin geladen.«
    »Erzähl mir endlich die Geschichte. Du spannst mich auf die Folter. Du bist geladen. In dir hat sich extrem viel Energie aufgestaut und in Wut verwandelt. Und wild und wütend willst du dich entladen an Objekten, die du nicht zu achten brauchst. Was mir zu denken gibt. Zu mir kommen so viele Geladene, Wutentbrannte. Als Therapeutin siehst du all die Fäuste im Sack. Angst vor Entlassung, Angst vor Demütigungen, Angst, Controller, alle haben Angst. In Köln, in Düsseldorf, in Frankfurt und bei dirin Berlin, was glaubst du? Da laufen Tausende von Zeitbomben rum, Geladene, bis zum Reissen Angespannte. Wenn die Milchsäure nicht schnell genug abtransportiert werden kann, dann verkleben die Muskeln, dann verspannt sich der Mensch, dann hat der Mensch Schmerzen. Und wenn der Schmerz gross ist, dann möchte der Mensch schreien. Aber er darf nicht. Wenn ich unterwegs bin, Controller, dann bin ich unter Leidenden. Unter Leuten, die es nicht mehr aushalten. Die schreien möchten vor Schmerz. Aber ich höre keine Schreie. Ich höre nichts. Die Deutschen bleiben stumm. Man hat uns auf stumm geschaltet. Und lässt uns vibrieren. Kinder können ihre Wut herausschreien – oder auch Männer auf dem Fussballplatz. Aber sonst, Controller, leben wir in einem stummen Land … Bist du noch da, Controller, oder langweile ich dich?«
    »Du bist erregt, Frau Male, sehr erregt, fast ausser dir …«
    »Bin sehr bei mir, Controller. Und schreie laut, auch wenn du das jetzt nicht hören kannst. Was gut ist. Auch in mir hat sich viel gestaut. Will mich abreagieren und bin auf der Suche nach Objekten, und dabei bin ich auf dich gestossen.«
    »Benutz mich.«
    »Und das geht, ohne dass man sich verletzt?«
    »Objektiv schon, aber subjektiv …«
    »Controller, meine reale Welt stimmt nicht mit meiner Gedankenwelt überein, und ich will wissen, zu welcher Welt du gehörst. Also erzähl mir jetzt endlich von deiner verdammten Putzfrau.«
    »Sie kommt, wie gesagt, in knapp einer Stunde. Und jetzt hole ich mir einen Kaffee, bis gleich, Frau Male.«

    Bossdorf schaute zu, als Loderer einen Becher aus dem Automaten nahm und den Kaffee verschüttete. »Nicht die Finger verbrennen, Herr Loderer, da müssen Sie schon aufpassen.« Toilettenpapier holen, aufputzen, aber kein Kleingeld für einen neuen Kaffee. Geldwechseln in der Kantine, Finger nicht verbrennen, zurück an den PC. Keine Nachricht von Frau Male. Zurück zum Automaten. Bossdorf grinste, und Loderer sah, dass er einen Blumenstrauss in der Hand hielt.
    »Schöne Aussichten, Herr Bossdorf?«
    »Besuche meine Mutter«, sagte Bossdorf, und sein Lächeln fror ein.
    »Wie alt ist Ihre Mutter?«
    »Siebzig, fast, warum?«

    »Bin wieder da, und du?«
    »Und du geniesst es, dass ich vor Wut schäume, dass ich dich jetzt am liebsten am Schwanz packen und durch die Gassen ziehen würde, öffentlich zur Schau gestellt, ein Mann, ein Schwanz, nicht mehr – aber immerhin. Wäre das auch in deinem Sinn eine attraktive Vorstellung?«
    »Ich will mich abreagieren wie du, Frau Male, und du bist ein sehr brauchbares Sexobjekt. Weil du nicht schwach bist, weil du keine hilflose Person bist, weil deine Batterien so voll sind wie meine, womit ich meine: Sollten wir den Bogen überspannen, dann trifft uns der Stromschlag beide mit gleicher Wucht. Achtbar, wenn du mit deiner Wut andere nicht verletzen willst. Fruchtbar, dass du dich wie eine Wildsau ausleben willst. Mach es. Nicht skrupellos, aber hemmungslos. Die Menschen sind nicht aus Porzellan, und Schwänze schon gar nicht. Und dass Gedankenwelten und Wirklichkeiten nicht immer harmonieren können, ist normal. Geniess den Zwiespalt, Frau Male. Geniess deinen juckenden Spalt.«
    »Controller, in der realen Welt werde ich in ein paar Stunden ältere Herren vierteilen. Ich werde ihre Glieder dehnen und strecken, bis sie knallrote Gesichter haben. Ich werde ihre verfetteten Bäuche auf Medizinbälle drücken und sie kugeln lassen. Ichwerde sie verbiegen, aber nicht brechen. Ich werde sie berühren, aber sie werden nur den Schmerz spüren. Den Schmerz im Knie, den Schmerz in der Achillessehne, im Ellbogen, im krummen Rücken. Ich werde sie aufrichten, Controller, und wenn sie

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