Die Kanzlerin - Roman
hat Sie dazu veranlasst, in diesem Jahr noch eine andere Person beizuziehen, beratenderweise?«
»Zufälle, Umstände, ach, Herr Kranich, Sie wissen gar nicht, wie mir dieser Bergprediger auf die Nerven geht. Zuerst befragt er mich fürs Fernsehen, und einen Tag später kommentiert er das Gespräch in der Bild am Sonntag. «
»Ich glaube, er mag Sie, Frau Kanzlerin.«
»Mögen ist eine Kategorie, die ich überhaupt nicht mag. Und wenn ein Journalist einen Politiker mag, dann stimmt entweder mit dem Politiker etwas nicht oder mit dem Journalisten, und erfahrungsgemäss kann ich Ihnen sagen, dass es in meinem Fall ausnahmslos so ist, dass ich es mit unstimmigen Journalisten zu tun habe. Der Fall des Bergpredigers ist aber ein bisschen komplizierter. Er ist ein netter Mensch, Kranich, aber dummerweise mag ich keine netten Menschen. Was er sagt und schreibt, ist eigentlich immer richtig, auch das aber macht mich eher übellaunig. Der Bergprediger verkündigt meine Politik wie eine Frohe Botschaft, mit gelegentlichen Einschüben aus eher düsteren Kapiteln des Alten Testaments. Ich komme mit ihm einfach nicht zurecht. Er ist nicht dumm, er ist kein Schmeichler, er masst sich auch keine Obergutachten an wie dieser Herr Stern, der von allen Seiten munitioniert wird und dann auf alles feuert, was sich bewegt. Und dabei auch immer trifft, weil der Streubereich seiner Flinte sehr gross ist. Ich glaube, jetzt kann ich es gacksen: Dieser Bergprediger verkündigt eine Politik, die das einfach nicht verdient hat, obwohl wir es sind, die sie machen. Er ist ein gläubiger Mensch, aber ehrlich gesagt: Ich hab lieber Schuldner als Gläubiger. Ich mag dieses Gefühl nicht, irgendetwas schuldig zu sein, und sei es einem Bergprediger.«
»Er wird fragen, was er fragen muss.«
»Er fragt, was alle fragen, Kranich, und trotzdem steh ich vor ihm wie vor dem Jüngsten Gericht. Und das Schlimmste daran ist, dass ein gütiger Gott vor mir steht und ich keinerlei Höllenqualen zu befürchten habe, egal, was ich für Antworten gebe. Wobei, devot ist er nicht. Er frisst mir die Antworten nicht aus der Hand und legt auch Widerspruch ein, und zwar immer an den passenden Stellen – aber einmal angenommen, ich würde etwas wirklich Unappetitliches sagen, Kranich: der Typ würde mir seine nächste Frage in einer Serviette verpackt stellen.«
»Warum mögen Sie keine Leute, die Sie mögen?«
Die Kanzlerin überlegte kurz, wechselte dann aber abrupt das Thema: »Herr Kranich, ich bin reif für die Insel, weiss aber nicht, ob auch ein Berg eine Insel der Erholung sein kann.«
»Der Säntis ist ein wunderbares Feriengebiet.«
»Und trotzdem waren Sie noch nie dort. Aber vielleicht wäre es ja ratsam, wenn die deutsche Kanzlerin ihren Schweizer Intimus mitnimmt und sich das wunderbare Land von ihm zeigen und erklären lässt. Wenn Sie keine Einwände haben.«
Kranich spürte, dass sie ihn musterte, blickte aber aus dem Fenster und hörte, wie die Kanzlerin simste.
»Bitten Sie den Kanzleramtschef in mein Büro, Herr Kranich.«
»Er bespricht sich, glaube ich, derzeit mit den Fraktionschefs.«
»Er bespricht sich, glaube ich, jetzt sofort mit mir«, sagte sie und fragte, wo bei diesem Handymodell die Rufnummernunterdrückung sei. »Es gibt ja zwar«, fuhr sie fort, »keine Unterdrückten mehr in diesem Land, und überhaupt wird nur noch wenig unterdrückt. Die Menschen leben sich aus. Aber ist es auch offenherzig? Wir leben in einem freien Land, Kranich, was ich nicht beklagen will. Obwohl es schon seinen Charme hatte, wenn sich die Menschen in der DDR sozusagen darauf beschränkt haben, ihre Freiheit in Nacktbädern auszuleben, und man sich im Übrigen zu beherrschen wusste. Aber nun gibt es sie nicht mehr, diese DDR, was Sie sicher bestätigen werden, Herr Kranich. Oder möchten Sie lieber sagen: Es gibt sie nicht mehr wirklich? Aber, wie gesagt, ich brauche Urlaub, und den habe ich mir auch redlich verdient. Sagt das deutsche Volk. Haben Sie die Umfrage gelesen? 65 Prozent der Befragten meinen, dass mir der Urlaub vergönnt sei, weil ich gut gearbeitet hätte. Andererseits, Herr Kranich, wenn Herr de la Mare das Sagen hätte, dann würden wir darüber schon bald abstimmen lassen müssen. Seine Heiligkeit, das Volk. Wie in der Schweiz. Aber so leutselig sind wir Deutsche gottlob nicht.«
»Ich habe eine andere Umfrage gelesen«, sagte Kranich. »Luka Pavi´cevi´c hat gesagt« – »Kenn ich nicht«, murmelte sie –, »der Trainer von
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