Die Kanzlerin - Roman
dem Herrn Innenminister starkgemacht habe, trotz GPS und des ganzen technischen Klimbims, mit dem sich das BKA immer brüstet, was soll das?«
»Das BKA hat Ihnen eine neue Nummer zugewiesen, mit ein paar Raffinessen, über die Herr Mozart stolpern könnte, sollte er sich auch diese Nummer beschaffen.«
»Herr von Aretin, Sie rutschen nun schon seit längerem auf Ihrem Stuhl hin und her, was mich ehrlich gesagt etwas nervös macht.«
»Es gibt da noch ein Problem, Frau Kanzlerin«, sagte Regierungssprecher von Aretin. »Das Hotelpersonal vom Park Inn war leider nicht ganz so verschwiegen, wie wir alle uns das gern gewünscht hätten. sueddeutsche.de hat über den Fund von Borons Leiche berichtet, und mittlerweile gibt es bereits Agenturmeldungen, in denen er als Personenschützer im Dienste des Kanzleramtes identifiziert wurde. Ich schlage darum vor, dass der Herr Innenminister möglichst bald eine Pressekonferenz in dieser Angelegenheit gibt.«
»Dazu wissen wir im Augenblick einfach noch zu wenig«, sagte Brack.
»Herr von Aretin hat recht, Herr Brack. Wenn wir länger zuwarten, wird es Spekulationen geben, und das will ich nicht. Und wenn ich die Herren Experten richtig verstanden habe, ist über eine menschliche Tragödie zu informieren. Ich kann nur sagen:Machen wir das, bevor aus dem Menschlichen etwas Politisches wird. Herr Haxer, informieren Sie Herrn Minister Eisele, und organisieren Sie diese PK.«
Brack sagte nichts mehr, Puller stand wieder am Fenster, Kranich hustete, und die Kanzlerin sagte: »An den Reiseplänen einiger Kabinettsmitglieder inklusive meiner Person ändert diese Geschichte nichts. Ich brauche frische Luft, und die gibt es auf dem Säntis.« Dass es keine Widerrede gab, löste bei der Kanzlerin eine gewisse Erleichterung aus.
Kranich blieb in ihrem Büro.
»Was halten Sie von dieser Geschichte, Kranich?«
»Ich kenne Herrn Boron nicht«, sagte Kranich, »ich kannte ihn nicht.«
»Und mehr haben Sie nicht zu sagen? Obwohl Sie Ihre Denkerstirne machen und angeblich Relevantes gedacht haben, wenn auch nicht akut Relevantes – Kranich, was wollten Sie mir sagen?«
»Sie werden mich auslachen.«
»Ich lache gern, also schiessen Sie los.«
»Es ist aber eher philosophisch.«
»Dann philosophieren Sie mal.«
»Man ist, was man gewesen ist. Und wird, was man ist. Und ist, was man gewesen ist.«
»Gar nicht dumm, Kranich. Ich glaube, Sie wollen mir damit sagen: Das Leben ist eine Achterbahn.«
Kranich nickte.
»Philosophisch gesehen, fehlt aber noch ein Satz, Kranich. Sie haben es nicht zu Ende gedacht.«
Kranich überlegte, und die Kanzlerin ergänzte: »›Und ist gewesen, was man geworden ist.‹ Für meinen Nachruf würde sich dann die eher simple Frage stellen: Ist viel aus ihr geworden?«
Dann machte sie sein Mäppchen auf. Kranich hatte sich auf ein paar Schlagzeilen der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung beschränkt, und die Kanzlerin las vor: »Tausende von Toten. Angriffe auf Abchasien. Putin warnt die NATO – De la Mare will wieder regieren. Aber die SPD sagt: Baptist meint es nicht ernst – Die Russen bombardieren ganz normale Wohnhäuser – Die Kanzlerin muss zeigen, dass es die Konservativen pur gibt – Die Geburtsstunde eines neuen Deutschland: De la Mare bellt und schwitzt, weil er wieder Ministerpräsident werden will – Der Himmelsstürmer: Li Ning hat als Turner und Geschäftsmann alles erreicht. Aber bei seinem schwerelosen Rundflug durchs Olympiastadion wollte er schreien – vor Glück – Das Reck ist wieder mal bezwungen. Hambüchen turnt sich ins Finale – Zwischen Qual und Qualität, der HSV – Friedrich, die Grosse. Ariane Friedrich springt in die Weltspitze des Hochsprungs – Wie die Russen in unsere Ferien einmarschieren – Ihr wart doch gestern auch schon da. Welche Rolle Drogen und Räusche in unserer Gegenwart spielen und was die Kunst dazu zu sagen hat – Frankfurter Zoo: Bonobo-Ballermann im Borgori-Wald – So wird die Brust zur Hochkultur: Wer Philip Roth verfilmt, sollte seine mittleren Geschmacks- und Qualitätsurteile vergessen – Wirtschaft: Wer Alkohol trinkt, verdient mehr Geld. Cocktails verbessern die Berufschancen in der Stadt, auf dem Land wirken Bier und Wein – Wie kaufe ich eine Firma? So übernehmen Sie Daimler. Das muss nicht viel kosten. Eine Anleitung für Firmenjäger – Wir müssen das Rad neu erfinden: Burda-Vorstand Christiane zu Salm über die Suche nach Profit im Internet, ihre
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