Die Kanzlerin - Roman
von mir sitzt Herr Frontzeck vom Bundeskriminalamt und Leiter einer Sonderkommission, die von mir eingesetzt wurde, als noch nicht klar war, womit die Regierung es bei dieser Geschichte zu tun hat. Bitte geben Sie den Ereignissen also keine unnötige Brisanz, allein gestützt auf die Tatsache, dass die Regierung überhaupt eine Sonderkommission eingesetzt hat. Herr Frontzeck wird Sie über die Einzelheiten des Falles informieren, sollte es nach den Ausführungen von Herrn von Aretin entsprechende Fragen geben.
Bevor ich ihm jetzt aber das Wort erteile, möchte ich Ihnen sagen, dass ich zutiefst bewegt bin von einem Geschehen, das auf menschliche Abgründe verweist, über die wir nicht mehr zu richten haben. Herr von Aretin, bitte.«
Von Aretin trat in der Regel überheblich auf und machte auch heute keine Ausnahme. Eisele senkte den Kopf, um seinen Ärger darüber zu verbergen.
»Kolleginnen und Kollegen, vor zwei Tagen wurde in den Kellerräumlichkeiten des Wohnhauses der Kanzlerin die Leiche vonFrau Gabriela Hell entdeckt. Ich kann bestätigen, dass sie Personenschützerin war und in dieser Funktion auch für das Kanzleramt gearbeitet hat. Die Ermittlungen haben ergeben, dass Frau Hell zuerst betäubt und dann vom Täter erstickt wurde. Gestern wurde im Hotel Park Inn Herr Tim Boron tot in einem Zimmer aufgefunden. Herr Boron war ebenfalls Personenschützer, und er war mit Frau Hell befreundet. Frau Hell hatte diese – intime – Beziehung vor einigen Wochen allerdings beendet. Nach den bisherigen Erkenntnissen hat Herr Boron Selbstmord verübt. Alles weist darauf hin, dass er seine Kollegin getötet und sich in der Folge selbst das Leben genommen hat. Im Interesse der laufenden Ermittlungen können wir zu diesem Zeitpunkt allerdings keine konkreteren Angaben machen. Kanzlerin und Kabinett sind tief betroffen von diesem Geschehen. Obwohl ich Ihnen über die Art Ihrer Information keine Ratschläge zu erteilen habe, möchte ich Sie darauf hinweisen, dass reisserische Berichterstattungen in diesem Fall wenig hilfreich wären.«
Ein paar Journalistenhände schossen in die Höhe, aber Eisele übersah sie und sagte: »Gestatten Sie mir an dieser Stelle eine persönliche Bemerkung. Als Innenminister gehört es zu meinen Pflichten, unser Land vor Schaden zu bewahren und die Menschen nicht zuletzt vor den Gefahren zu schützen, die international organisierte Verbrecherbanden darstellen. Und wie Sie alle wissen, nehme ich diese Gefahr sehr ernst. Ich habe mich aber davon überzeugt, dass es in diesem Fall keinerlei Anhaltspunkte gibt für Spekulationen, die in diese Richtung zielen, auch wenn seriöserweise in alle Richtungen ermittelt wird. Mutmasslich aber handelt es sich um eine dieser menschlichen Tragödien, die es leider – statistisch gesehen – nur allzu oft gibt. 90 Prozent aller Morde sind Beziehungsdelikte, also Kapitalverbrechen, bei denen sich Opfer und Täter kannten. Und so ist das offenbar auch in diesem Fall. Mit Rücksicht nicht zuletzt auf die Hinterbliebenen bitte ich Siedarum, in diese traurige Geschichte nichts hineinzugeheimsen, was da nicht hingehört. Die Regierung, unsere Kanzlerin, wir alle sind, wie gesagt, tief betroffen von diesem Vorfall. Und jetzt können Sie Ihre Fragen stellen.«
Financial Times Deutschland: »Wie wurde Frau Hell getötet?«
Eisele: »Über den Stand der kriminalistischen Untersuchungen kann ich hier nur sehr allgemein informieren. Sicher ist, dass Frau Hell durch Dritteinwirkung starb.«
Leipziger Volkszeitung: »Hat Herr Boron einen Abschiedsbrief hinterlassen, aus dem sich seine Täterschaft ergibt?«
Eisele senkte den Kopf.
Frontzeck: »Ein solches Schreiben gibt es.«
Süddeutsche Zeitung: »Welche anderen konkreten Beweise gibt es dafür, dass Tim Boron seine Kollegin Hell getötet hat?«
Frontzeck: »Es gibt schwerwiegende Indizien, darüber hinaus möchte ich nichts sagen derzeit.«
Süddeutsche Zeitung: »Gab es im Laufe der Ermittlungen auch Hinweise auf mögliche andere Täter, beziehungsweise wurden solche Überlegungen überhaupt angestrengt?«
Frontzeck: »Ermittlungen in Fällen wie diesem werden prinzipiell in aller Breite geführt, also so lange, bis sich ein Tatverdacht zweifelsfrei erhärtet hat.«
Süddeutsche Zeitung: »Die nochmalige Nachfrage sei erlaubt: Heisst das, dass es im Fall Hell/Boron immer noch Zweifel gibt?«
Frontzeck: »Das heisst es nicht. Sie können davon ausgehen, dass Ermittlungen auch dann sauber zu Ende
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