Die Kanzlerkandidatin - Kriminalroman
gehörte, wäre ihr lieber gewesen.
Ihr Einwand prallte an ihm ab. „Anna hätte sich gefreut, dich kennenzulernen. Zu blöd, dass sie an einem Seminar für Fachberaterinnen von Kindergärten in Aurich teilnimmt. Es geht um interkulturelle Kompetenz im Vorschulalter. Du weißt schon: Max soll nicht mit Moritz spielen, sondern mit Ali. Ich koch uns Kaffee, und wir quatschen mal wieder richtig.“
Stolli wollte Kaffee kochen? In den mehr als zehn Jahren, als sie Kollegen und zuletzt gute Freunde geworden waren, hatte sie das kein einziges Mal erlebt. Das grenzte an ein Wunder, das Verena sich dann doch nicht entgehen lassen wollte.
Wie vereinbart wartete er vor der Trauerhalle auf sie. Ihr Freund hatte etwas zugenommen und sah für seine Verhältnisse ungewöhnlich manierlich aus. Statt der sattsam bekannten ausgeleierten, fleckigen Cordhose trug er heute eine blau-grün karierte Stoffhose und eine farblich darauf abgestimmte Jacke. Schweigend gingen sie nebeneinander her an gepflegten Gräbern vorbei in Richtung Ausgang, Verena in gedrückter Stimmung. Trotz der Demenzerkrankung hatte der Tod ihrer Mutter eine schmerzhafte Lücke in ihrem Leben hinterlassen. Sie vermisste sie. Auch wenn sie zuletzt statt der fürsorglichen Mutter ein quengelndes Kind vor sich gehabt hatte. Die Erkenntnis, dass die selbstlose Liebe ihrer Eltern für immer aus ihrem Leben verschwunden war, tat weh. Auch Jürgens Liebe konnte die Lücke nicht schließen, seine Liebe war nicht weniger stark, aber anders. Leidenschaftlich, zärtlich, auch fürsorglich, aber nicht uneigennützig und nicht selbstverständlich.
„Schade, dass du nicht mehr Zeit mitgebracht hast“, meinte Stolli, als sie auf die Straße traten. „Warum bleibst du nicht bis morgen? Platz haben wir mehr als genug. Anna hat vorsorglich das Bett im Gästezimmer bezogen, falls du es dir doch noch anders überlegst.“
„Das geht leider nicht“, winkte sie ab. „Jürgen ist ohnehin schon sauer, dass ich so wenig zu Hause bin. Gerade erst sind wir zusammengezogen und ich bin ständig auf Achse. Aber der Besuch meines Elterngrabes musste einfach sein. Meine Mutter hätte heute Geburtstag gehabt.“
Stolli schlug vor, dass Verena ihr Auto am Friedhof stehen lassen sollte. „Du siehst aus, als ob du dringend Sauerstoff brauchst. Ich bringe dich später zurück.“
Die frische Luft tat Verena gut. Sie spürte, wie der Druck auf ihrer Stirn nachließ. Stollis Fragen wurden nur einsilbig beantwortet. Ihre Gedanken weilten bei ihrer Mutter und mehr noch bei ihren Versäumnissen als Tochter. Immer hatte ihr Beruf Vorrang gehabt. Und nicht nur das. Franz, ihr langjähriger Lebenspartner, hatte stets Ausflüchte gehabt, wenn sie ihre Mutter in Osnabrück besuchen wollte. Und sie hatte sich gefügt. Verena spürte, dass ihre Augen feucht wurden. Das fehlte gerade noch, dass sie Stolli bei ihrem ersten Wiedersehen seit Wochen etwas vorheulte.
„Brauchst du ein Taschentuch?“, fragte er.
„Nein, nein, lass nur. Erzähl mir lieber, wie es bei dir im Büro läuft.“
Auf den letzten Metern zu dem kleinen Einfamilienhaus in der Straße Am Schwanenbach unterhielt er sie mit Anekdoten aus der Polizeidirektion. Als er die Pforte des weiß angestrichenen Holzzauns zu dem roten Backsteinhaus öffnete, fühlte sich Verena besser. Wie gut es tat, einen Freund wie Stolli an ihrer Seite zu wissen. Im Vorgarten standen Blumenkübel, die mit Tulpen und Stiefmütterchen bepflanzt waren. „Die habe ich gepflanzt“, sagte Stolli stolz. Stolli und gärtnern? Anna musste über Zauberkräfte verfügen.
Auch das Innere des Hauses bot ein Kontrastprogramm zu Stollis früherer Behausung, in der Staub, Dreck und Unordnung ein dauerhaftes Zuhause gefunden hatten. „Ich schmeiß dann mal die Kaffeemaschine an und dann erzählst du mir von den Mordermittlungen“, sagte er. „Vielleicht kann der alte Stolli dir ja auf die Sprünge helfen. Es wäre ja nicht das erste Mal.“
„Du Spinner“, erwiderte sie und drohte ihm lachend mit der Hand. „Zeig mir lieber die Gästetoilette.“ Auch dort blitzte alles vor Sauberkeit. Im Wohnzimmer war für zwei Personen gedeckt. Auch der Kaffee stand bereit, dazu gab es Kekse. „Die hat Anna selbst gebacken“, erklärte Stolli. In seiner Stimme klang Stolz mit.
„Dass ich das noch erleben darf, der gute Stolli kocht Kaffee für mich“, unkte Verena. Ihr Freund grinste über beide Backen. „Also ehrlich gesagt, Anna hat alles vorbereitet, ich musste nur
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