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Die Kanzlerkandidatin - Kriminalroman

Die Kanzlerkandidatin - Kriminalroman

Titel: Die Kanzlerkandidatin - Kriminalroman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wilhelm Braumüller <Wien>
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schlüpfrige Mails ausgetauscht hatte. Sogar um die Farbe der Unterwäsche der Dreizehnjährigen war es darin gegangen. Die Presse bekam Wind davon und Wiemers musste sein Mandat niederlegen.
    Danach traf es den streitbaren Abgeordneten und Anwalt Fromm. Gerüchte über Mandantenbetrug und Siegelbruch drangen an die Öffentlichkeit. Auch er musste zurücktreten. Kurz zuvor hatte Fromm Marion Klaßen auf einer Fraktionssitzung mangelndes politisches Gespür bescheinigt. Danach wagte es niemand mehr in der Fraktion, die Vorsitzende zu kritisieren, und Marion Klaßen legte immer mehr die Allüren einer absolutistischen Herrscherin an den Tag. Quasi im Alleingang bestimmte sie die Linie der Fraktion, und sie machte das nicht einmal schlecht, wie selbst ihre Kritiker zugeben mussten. Hinzu kam, dass ihre Werte im Politikerranking unaufhörlich stiegen, während die neue Regierung schwächelte. Die von Innenminister Lühmann eingeführte Deeskalationspolitik erwies sich als Bumerang. Gerade erst hatten sich die empörten Gemüter niedersächsischer Bürger über den laxen Umgang mit der Dongabande beruhigt, da geriet die niedersächsische Polizei erneut ins Fadenkreuz der Kritik. Der Mord an einem zehnjährigen Mädchen aus Stade erschütterte die Öffentlichkeit, der Polizei wurde ein Mitverschulden angelastet.
    Lühmann musste seinen Hut nehmen, für Marion Klaßen ein willkommener Anlass, sich in Nachrichtensendungen und Talkshows als Oppositionspolitikerin zu profilieren. Innerhalb weniger Tage stiegen die Zustimmungswerte der Bürgerpartei um drei Prozentpunkte und Marion Klaßen rückte im niedersächsischen Politikerranking auf Platz eins vor. Die Herzen der Parteimitglieder flogen ihr zu, landauf, landab wurde sie als neue Hoffnungsträgerin der Bürgerpartei gefeiert.
    Beim kalorienarmen Frühstück, das seinen Arzt begeistert hätte, rang Wagner sich doch noch zu einem Entschluss durch. Um Punkt neun betrat er das Vorzimmer der Fraktionsvorsitzenden. Frau Stigler thronte in gewohnt hoheitsvoller Manier hinter einem Berg von Unterschriftsmappen. Überrascht schaute sie Wagner an. „Sie wollen doch nicht etwa zur Chefin? Frau Klaßen hat momentan keine Zeit, sie brütet über der Haushaltsrede für die kommende Plenarsitzung. Da können Sie nicht stören.“
    Wagner ignorierte sie und marschierte geradewegs an der Sekretärin vorbei in das Büro der Vorsitzenden.
    „Moment mal, so geht das nicht, Herr Wagner!“, rief Frau Stigler hinter ihm her.
    „Sie können mich mal“, rief der zurück und riss die Tür zum Chefbüro auf. Die Vorsitzende saß an ihrem Schreibtisch über Unterlagen gebeugt. Wagner registrierte, dass sie eine neue Frisur hatte. Ohne den Kopf zu heben, fragte sie: „Was ist denn, Frau Stigler?“
    „Ich muss mit Ihnen sprechen“, sagte Wagner.
    Sie hob ihren Kopf. Auch ihr Make-up war anders als sonst, dezenter und farblich heller. Es stand ihr gut. „Ach, Sie sind es.“ Ein kurzer Moment der Verärgerung wich einem mehr abschätzigen denn neugierigen Gesichtsausdruck. „Was ist denn so dringend, dass Sie hier unangemeldet hereinplatzen?“
    Wagner trat näher an ihren Schreibtisch heran und setzte sich unaufgefordert auf einen der beiden Stühle. „Ich möchte mit Ihnen über Pietro sprechen. Er war an dem Abend, bevor er nach Palermo geflogen ist, bei mir.“
    Er wartete ihre Reaktion ab, aber es kam keine. „Er hat mir Dinge erzählt, die mich nachdenklich stimmen. Dass sie uns Abgeordnete ausspionieren und Dossiers über uns anlegen zum Beispiel. Dossiers, die Sie gegen uns verwenden, wenn wir nicht auf Linie sind. Ich konnte mir ja neulich selbst ein Bild davon machen, wie Sie mit sogenannten Abweichlern umspringen.“
    Sie zog die Augenbrauen hoch, dann verzog sie ihr Gesicht zu einem Lächeln und sah ihn spöttisch an. „Mein Gott, Pietro! Wegen dem machen Sie einen solchen Aufstand? Der gute Junge ist in seiner männlichen Eitelkeit verletzt. Er hat es nicht verkraftet, dass ich unsere Beziehung beendet habe.“
    „Also stimmte auch das, und Sie hatten ein Verhältnis mit ihm?“
    Erneut schenkte ihm die Politikerin ein spöttisches Lächeln. „Ja, und? Was ist denn dabei? Ich kann Ihnen einige Spitzenpolitiker nennen, die nach außen auf heile Familie machen und nebenbei Affären mit jungen Mädchen laufen haben. Kein Mensch regt sich darüber auf. Warum sollen wir Frauen nicht das gleiche Recht für uns in Anspruch nehmen? Wollen Sie mir etwa Sex verbieten?“
    Wagner

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