Die Kanzlerkandidatin - Kriminalroman
sie verliebt und bereits zwei Wochen nach ihrem ersten Treffen allen Warnungen zum Trotze um ihre Hand angehalten. Aber schon nach wenigen Monaten war ihm klar geworden, dass er einem schrecklichen Irrtum unterlegen war. Nicht Liebe, nicht einmal Zuneigung hatte sie veranlasst, ihn zu heiraten. Ihr war es um Glanz und Glamour gegangen. Als Regierungssprecher hatte er Zugang zu Kreisen, die der Kosmetikerin bis dahin verschlossen gewesen waren. Was er ihr bieten konnte, reichte ihr nicht. Nicht sein durchaus beachtliches Gehalt, nicht seine Position in der zweiten Reihe, nicht die Eigentumswohnung. Sie wollte sich im Blitzlicht der ersten Reihe sonnen, in einer luxuriösen Villa leben und mehr Geld ausgeben, als er ihr zur Verfügung stellen konnte.
Jetzt, mit fünfunddreißig, stand er vor den Trümmern seiner Ehe, die von Anfang an keine Chance gehabt hatte, und es sah nicht danach aus, dass sich sein Singledasein in absehbarer Zeit ändern würde. Er war nun mal kein Frauentyp. Er galt zwar als witzig, einige meinten sogar, er sei charmant, aber seine Fettröllchen um Bauch und Po waren nicht zu übersehen. Wenn er doch nur abnehmen würde. Doch so sehr er es sich auch vornahm, es wollte einfach nicht klappen. Frustriert ging Wagner zum Schreibtisch zurück. Das Mandelhörnchen lachte ihn an. Er brach ein großes Stück ab und steckte es sich in den Mund.
3
Die Fraktionssitzung hatte bereits begonnen. Wagner kam einige Minuten zu spät. Der Blick, mit dem Marion Klaßen ihn musterte, war eisig. Er setzte sich in eine der hinteren Reihen, wo auch Wächter Platz genommen hatte, und raunte seinem Kollegen einen kurzen Gruß zu. Wächter reagierte nicht, er war in die Lektüre seiner Mails auf seinem BlackBerry vertieft. Auch die anderen männlichen Abgeordneten waren zwar physisch anwesend, aber gedanklich meilenweit entfernt. Sie tuschelten miteinander oder beschäftigten sich mit ihren iPhones.
Die Quoten-Peters führte das große Wort. Ihr Bericht über eine mehrtägige Dienstreise nach Oslo, bei der sie sich von den Vorteilen der Frauenquote in der Wirtschaft überzeugen konnte, stieß den überwiegend männlichen Abgeordneten übel auf. Ein Abgeordneter vom Wirtschaftsflügel ging schließlich dazwischen. „Eine gesetzliche Frauenquote für Unternehmen ist der Anfang vom Ende der Marktwirtschaft. Dann können wir ja gleich den Staatskommunismus einführen“, knurrte er.
Beifälliges Murmeln im Saal war die Folge. In der Reihe vor Wächter fielen Worte wie „Teufelswerk“ und „Missgeburt“. Die Fraktionsvorsitzende bemühte sich um Schlichtung, während die Quoten-Peters lautstark schimpfte. Marion Klaßen musste ihr ganzes Gewicht in die Waagschale werfen, um die erhitzten Gemüter zu besänftigen. Gegen 13 Uhr beendete sie die Sitzung. Die Abgeordneten waren unruhig geworden, sie hatten Hunger. Tobias Wächter nicht. Während die meisten seiner Kollegen Richtung Ausgang strömten, ging er in sein Büro. Wagner trottete hinter ihm her. Nachdem er am Vormittag bereits ein Mandelhörnchen und eine halbe Tafel Schokolade vertilgt hatte, wollte er das Mittagessen ausfallen lassen.
Zu seiner Überraschung stand der Großinvestor Baumgart, angehender Milliardär und Besitzer zahlreicher Immobilien und Firmenbeteiligungen, vor Wächters Bürotür. Normalerweise pflegte der Multimillionär seine Gesprächspartner zu sich zu bestellen. Als wichtigster Sponsor der Bürgerpartei und Geldgeber für Kulturprojekte konnte er sich das leisten. Für Wagner hatte er nur ein knappes Lächeln übrig. „Ich warte auf dich“, sagte er an Wächter gewandt. Wagner verlangsamte seinen Schritt. Er wollte zu gerne wissen, was Baumgart veranlasst hatte, den Abgeordneten Wächter in seinem Büro aufzusuchen. Hatte die heikle Angelegenheit, über die Wächter im Landtag nicht sprechen wollte, damit zu tun? Er hörte noch, wie Baumgart sagte: „Deine Sekretärin ist übrigens bildschön. Wenn du sie loswerden willst, sag mir Bescheid.“ Auch Wächters Antwort entging ihm nicht: „Ich glaube nicht, dass meiner Frau das gefallen würde.“
Oh Mann, dachte Wagner. Wächter weiß also von der Affäre seiner Frau mit Baumgart. Er blieb stehen und tat so, als ob seine Schnürsenkel aufgegangen waren. Das Bücken fiel ihm schwer. Er musste dringend abnehmen. Die letzten Worte, die Wagner noch mitbekam, bevor die Bürotür hinter den beiden zuschlug, waren: „Du wirst mich nicht mehr umstimmen können. Meine Entscheidung steht.
Weitere Kostenlose Bücher