Die Kanzlerkandidatin - Kriminalroman
zerbrechen.
Im Vorzimmer bat Verena Frau Stigler, im Büro des Abgeordneten Stutz anzurufen und ihren Besuch anzukündigen. „Er ist da und hat Zeit für Sie“, klärte sie Verena nach einem kurzen Telefonat in ihrem üblichen hoheitsvollen Tonfall auf.
Der kurzzeitige Ministerpräsident und derzeitige Abgeordnete Stutz war in Wirklichkeit viel kleiner, als Verena ihn aus dem Fernsehen in Erinnerung hatte. Sein Händedruck war lasch, sein Gesichtsausdruck verkniffen. Er räumte unumwunden ein, dass Wächter seinen Rücktritt verlangt und durchgesetzt habe. „Das spielt aber keine Rolle. Ob er oder ein anderer. Wenn du als Regierungschef abgewählt wirst, bist du fällig. Die Partei schätzt keine Verlierer. Erfolg in der Politik hat viele Väter und Mütter. Dann war es immer die Partei als Ganzes. Bei Misserfolg stehst du am Ende alleine da.“
Seine Stimme klang verbittert. Ehe Verena etwas sagen konnte, fügte er noch hinzu. „Falls Sie also zu mir gekommen sind, weil sie annehmen, dass ich etwas mit den Morden zu tun haben könnte, war Ihr Weg umsonst. Wenn ich alle umbringen wollte, die an meinem Stuhl gesägt und meinen Absturz besiegelt haben, würde die Fraktion um die Hälfte schrumpfen. Mindestens. Nirgendwo kannst du so schnell aufsteigen wie in der Politik. Und nirgendwo so rasant abstürzen. Von einem Tag auf den anderen fällst du in ein schwarzes Loch, dann bist du plötzlich ganz allein und wirst von allen gemieden, ganz besonders von deinen sogenannten Parteifreunden. Wer so tief fällt wie ich, wird nicht zum Mörder, allenfalls begeht er Selbstmord. Ich für meinen Teil habe beschlossen weiterzuleben, schließlich bin ich verheiratet und habe zwei Kinder.“
Er deutete mit seiner Hand auf den Stuhl vor seinem Schreibtisch. „Setzen Sie sich doch.“
„Danke. Ich bin jedoch nicht gekommen, weil ich Sie für einen Doppelmörder halte. Mir geht es um Informationen. Ich hörte, dass Wächter erneut versucht hat, Sie um Ihr Mandat zu bringen.“
Der Abgeordnete winkte mit einer lässigen Handbewegung ab. „Vergessen Sie es. Er hatte keine Chance. Die Vorsitzende hätte dabei nicht mitgemacht. Nicht aus Mitleid, sondern aus politischem Kalkül. Man hätte Marion Klaßen Herzlosigkeit und Kälte gegenüber einem Familienvater vorgeworfen. Nicht, dass es nicht stimmt. Die Dame hat ein Herz aus Stahl. In der Öffentlichkeit kommen gefühlskalte, mitleidlose Politiker allerdings nicht gut an. Deshalb arbeitet sie mit Erfolg am Image einer Frau, die das Herz auf dem rechten Fleck hat.“
„Wie war Ihre Beziehung zu Herrn Baumgart? Hatten Sie einen guten Draht zu ihm?“
Der Sarkasmus war in der Antwort des Politikers nicht zu überhören. „Als ich Ministerpräsident war, war das so, ja. Danach hat er mich eiskalt fallen lassen. Baumgarts Erfolg beruhte im Wesentlichen auf seinen Netzwerken. Er kannte Gott und die Welt. Als ich nach dem Herzinfarkt von Alfred Bitter Regierungschef wurde, meldete sich sein Vorzimmer noch am Tag meiner Wahl wegen eines Termins für einen Antrittsbesuch. Natürlich hat Baumgart den Termin bekommen, schließlich war er mit Abstand der größte Geldgeber der Partei. Abgesehen davon bekommen Menschen wie Baumgart immer das, was sie wollen. Selbst der Bundeskanzler würde es nicht wagen, einem Mann wie ihm einen Terminwunsch abzuschlagen. Als Spitzenpolitiker eines der wohlhabendsten Länder der Welt ist man gut beraten, sich mit dem Kapital gut zu stellen.“
Als Verena ihn nach möglichen Tätern fragte, schüttelte er nur den Kopf. Er hätte nicht die geringste Ahnung. Auch über die Geschäfte der Baumgart Holding wusste er nichts. Verena musste ihm wohl oder übel glauben, auch wenn sie unsicher war, ob er die Wahrheit sagte. Sie würde sein Alibi für die Tatzeiten überprüfen lassen.
Als sie Stutz verließ, übermannte sie das erste Mal seit Tagen wieder Appetit. Vor dem anstehenden Gespräch mit dem Abgeordneten Römermann musste sie in der Markthalle unbedingt eine Kleinigkeit zu sich nehmen. Sie verließ das Leineschloss. Ein kalter Wind empfing sie. Wann würde es endlich Frühling werden? In der Markthalle bestellte sie sich einen Cappuccino, dazu ein Käsebrötchen. Bereits nach wenigen Bissen verspürte sie eine leichte Übelkeit. Jürgen hatte recht, sie musste so schnell wie möglich zum Arzt.
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H ANNOVER , L ANDTAG
„Nehmen Sie doch den unterirdischen Gang, er wurde eigens für die Abgeordneten gebaut, damit sie den Nebenbau trockenen Fußes
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