Die Kanzlerkandidatin - Kriminalroman
und mich die Quoten-Peters genannt. Damit war er übrigens nicht allein, Kollege Römermann gehört auch zur Riege rückständiger Männer, die uns Frauen Steine in den Weg legen. Männer wie die akzeptieren Frauen nur in der Küche und im Bett.“
„Um auf Wächter zurückzukommen, was glauben Sie …“
Die Abgeordnete ließ sie nicht ausreden. „Natürlich tut es mir trotzdem leid um Wächter. Ein solches Ende hat niemand verdient, selbst er nicht.“
Verena unterdrückte nur mühsam ein Seufzen, Abgeordnete zu vernehmen konnte unglaublich zermürbend sein. „Wie schätzen Sie denn das Verhältnis von Herrn Wächter zur Fraktionsvorsitzenden ein?“, erkundigte sie sich.
Die Antwort ließ nicht lange auf sich warten. „Die beiden waren erbitterte Konkurrenten. Marion Klaßen ist keine von uns, sie ist sogar gegen die Frauenquote und setzt auf freiwilliges Engagement der Unternehmen. Ich lach mich schlapp, wenn ich das höre! Da können wir bis zum Jüngsten Gericht warten, bis die Herren in Nadelstreifen sich auch nur einen Millimeter freiwillig bewegen und Macht abgeben. Weibliche Konkurrenz wollen die nicht. Nackte Angst, sag ich immer. Und wissen Sie warum? Weil wir besser sind. Haben Sie von den Forschungsberichten der Universität Hamburg gehört? – Nein? Dann sollten Sie die unbedingt lesen. Sie glauben ja nicht …“
Verena hatte genug. Das Thema mochte interessant sein, aber deshalb war sie nicht hier. „Sehr aufschlussreich, wirklich. Ich muss mich leider verabschieden, ein dringender Termin“, entschuldigte sie sich. Ihr Aufbruch glich einer Flucht.
Auf der Rückfahrt ins LKA ging sie in Gedanken die Ergebnisse der Befragungen durch. Dass Stutz Wächter erstochen hatte, war unwahrscheinlich. Sein Rausschmiss aus der Fraktion stand nicht zur Diskussion, weshalb er keinen Grund hatte, seinen parteiinternen Gegner zu erstechen. Und bezüglich Baumgart hatte er erst recht kein Motiv. Stutz fiel demnach als Tatverdächtiger aus. Bei Marion Klaßen sah es hingegen anders aus. Zumindest was Wächter betraf. Wächter hatte vorgehabt, sie zu erpressen. Aber ob der Privatdetektiv die Wahrheit gesagt hat und es wirklich nichts Belastendes im Leben der Fraktionsvorsitzenden gab, stand in den Sternen. Andererseits, weshalb sollte sie Baumgart umbringen? Und überhaupt, es war einfach idiotisch, so etwas zu denken. Marion Klaßen war eine überaus begabte Politikerin, die seit Kurzem sogar als Kanzlerkandidatin im Gespräch war. Weshalb sollte eine erfolgreiche, in den Medien gefeierte Spitzenpolitikerin zwei Morde begehen?
Sie musste umdenken, alles noch einmal von vorne durchgehen, jedes einzelne Indiz und jedes Beweisstück. Wenn sie doch wenigstens ein Muster, eine Struktur, zumindest die Ansätze eines Plans erkennen würde. Doch da war nichts, rein gar nichts.
34
B RÜSSEL
Wagners Recherchen hatten seine schlimmsten Befürchtungen bestätigt. Vitalboxen wurden zum Transport menschlicher Organe benutzt. Nicht nur, aber eben auch. Dass es in jüngster Zeit Unregelmäßigkeiten bei Organtransplantationen in Deutschland gegeben hatte, war amtlich. Aber Organhandel? Mitten in Deutschland? Das überstieg sein Vorstellungsvermögen. Dennoch ließ ihm die Angelegenheit keine Ruhe. Er musste ihr auf den Grund gehen und seinem Kollegen Römermann ein weiteres Mal auf den Zahn fühlen. Er nahm dem Abgeordneten dessen vermeintliche Unwissenheit nicht ab. Die Art und Weise, wie Römermann ihn abgefertigt hatte, hatte Wagner stutzig gemacht.
Schon heute bot sich dazu bei einer gemeinsamen Fahrt nach Brüssel die Gelegenheit. Wagner war von der Fraktionsvorsitzenden beauftragt worden, den ursprünglich für Wächter vorgesehenen Platz in der Delegationsgruppe zu übernehmen. Dieses Mal hatte sich Wagner nicht gesträubt, das Programm versprach interessant zu werden. Eine Informationsveranstaltung des Generaldirektors für Finanzen über Maßnahmen zur Sicherung des Euro.
Das Aufstehen fiel ihm trotzdem schwer. Er war nun mal kein Morgenmensch. Als er um kurz vor sechs Uhr auf dem Flughafen in Hannover eintraf, waren seine Mitreisenden bereits vor Ort. „Mensch, Wagner. Höchste Zeit, dass Sie kommen! Wir müssen einchecken“, rief Römermann ihm in gewohnter Lautstärke schon von Weitem entgegen. Für die frühe Tageszeit machte der Abgeordnete einen aufreizend munteren Eindruck. Das Einchecken war komplizierter als gedacht, da sich der Automat als weitaus sperriger erwies als die Damen am Schalter.
Weitere Kostenlose Bücher