Die Kanzlerkandidatin - Kriminalroman
erreichen.“ Der Landtagspförtner meinte es gut, Verena hingegen dachte sich ihren Teil. Wegen ein paar Metern wurden kostenträchtige unterirdische Gänge angelegt, aber für ihr seit Jahren beschädigtes Bürofenster war kein Geld da. Schon aus Prinzip entschied sie sich, den Weg über die Straße zu nehmen.
Der Abgeordnete Römermann, ein stattlicher Mann um die sechzig, sprang bei ihrem Eintreten energisch auf und schüttelte mit einer angedeuteten Verbeugung ihre Hand. Diese übertriebene Freundlichkeit weckte Zweifel in Verena. Zu viele Politiker, die sie im letzten Jahr vernommen hatte, hatten ihre Kraft darauf verwendet, sich selbst zu inszenieren, und ihr etwas vorgemacht.
Römermann gab sich jovial. „Frau Stigler hat Sie bereits angekündigt. Man hat ja viel von Ihnen gehört, nur Gutes übrigens. Innenminister Krause hielt große Stücke auf Sie. Beeindruckend, wie Sie den Mörder des Spitzenkandidaten dingfest gemacht haben. Gute Arbeit! Wirklich bemerkenswert, wenn man bedenkt, dass Sie eine Frau sind. Wie wäre es mit einem Stück Apfelkuchen? Den hat meine Frau für den Osterbasar der Landfrauen gebacken. Die Erlöse kommen einer Flüchtlingsinitiative zugute.“
Auch wenn das Verenas Lieblingskuchen war, und dieser sah besonders lecker aus, verspürte sie keinen Appetit. „Nur ein ganz kleines Stück. Und nein, danke, keinen Kaffee. Ein Glas Wasser, bitte.“
Während der Abgeordnete ein Stück Kuchen abschnitt und auf einen Teller legte, plapperte er munter weiter. „Ich persönlich halte nichts von dem Wohltätigkeitsgetue. Jeder ist für sich selbst verantwortlich, sage ich immer. Es gibt zu viele Gutmenschen in diesem Land, die glauben, dass wir auch siebzig Jahre nach dem verlorenen Krieg noch Abbitte leisten müssen. Als ob Deutschland nicht schon genug gezahlt hätte! Wir können doch nicht ewig weiterzahlen, vielleicht sogar noch unsere Ururenkel! Meiner Frau sage ich das auch immer wieder. Wir können schließlich nicht Millionen Afrikaner bei uns aufnehmen. Wo kommen wir denn da hin? Und jetzt sollen wir auch noch für die überschuldeten Euroländer im Süden geradestehen. Empörend ist das.“
„Sie kannten Herrn Wächter gut?“, kam Verena auf den Grund ihres Besuchs zu sprechen.
Römermann nickte. „Doch, schon. Tobias Wächter und ich waren auf einer Wellenlänge, auch wenn wir keine Freunde waren. Freundschaften in der Politik funktionieren fast nie. Denken Sie nur an den früheren Bundespräsidenten und seinen Pressesprecher, nach eigenem Bekunden wie siamesische Zwillinge und ein Bilderbuchbeispiel, wie aus besten Freunden erbitterte Feinde wurden. Was meine Beziehung zu Wächter betrifft: Ich habe ihn bei der Wahl zum Vorsitzenden gegen Marion Klaßen unterstützt und wir haben gemeinsam gegen den Linksruck in der Partei gekämpft. Das war es dann aber auch.“
Nachdenklich wanderte sein Blick durch das Zimmer, um schließlich auf Verenas Bluse hängen zu bleiben. Sie beschloss, einen Versuchsballon zu starten. „War Ihnen bekannt, dass Herr Wächter einen Privatdetektiv auf die Fraktionsvorsitzende angesetzt hatte?“
Ungläubig starrte der Abgeordnete sie an. „Wie bitte? Das muss ein Missverständnis sein. Oder es handelt sich um eines der unsäglichen Gerüchte vom linken Flügel. Die sind sich für nichts zu schade. Sie gefallen sich als Moralapostel und sind in Wirklichkeit Weltmeister in übler Nachrede. Erst neulich …“
Verena wollte das nicht wissen und unterbrach ihn: „Der Inhaber der Detektei hat zugegeben, von Herrn Wächter den Auftrag bekommen zu haben, die Fraktionsvorsitzende zu observieren.“
Römermann war sichtlich irritiert. Er runzelte die Stirn, um sich dann ins Nebensächliche zu flüchten. „Wollen Sie noch ein Stück Kuchen? Es ist genug da.“
„Vielen Dank, für mich nicht. Und bestellen Sie Ihrer Frau bitte, dass er vorzüglich geschmeckt hat. Sie wussten also nichts von der Überwachung? Und das, wo Sie doch, wie sagten Sie noch gleich, auf einer Wellenlänge waren?“
Römermann reagierte empört. „Natürlich nicht, sonst hätte ich es ihm sofort ausgeredet. Keine Ahnung, warum er das getan hat. Der Kampf um den Fraktionsvorsitz war verloren. Leider! Marion Klaßen sitzt fest im Sattel. Sogar der Bundeskanzler schätzt sie. Angeblich will er sie in den engsten Parteivorstand berufen, um sie als seine Nachfolgerin aufzubauen.“
Sein Gesicht sprach Bände. „Ich räume ein, sie verkauft sich gut und sie kann gut reden.
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