Die Kanzlerkandidatin - Kriminalroman
hervor: „Was soll der Quatsch, Müller? Meine Firma und in Konkurs? Mein Büro räumen? Hausverbot? Das hört sich nach einem Schurkenstück an. Sie wissen genauso gut wie ich, dass mein Unternehmen nicht insolvent ist. Sie kennen die Bilanzen und die Auftragsdaten.“
Meine Worte beeindruckten ihn aber nicht im Geringsten. „Die Lage ist ernst, Herr Heidkamp. Sehr ernst. Es gibt eine gerichtliche Anordnung. Der können Sie sich nicht widersetzen.“ Erneut hielt er mir das Blatt Papier entgegen
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Meine Hände zitterten, als ich das Schreiben entgegennahm. Und dann las ich es schwarz auf weiß. Gegen mein Unternehmen war das Konkursverfahren eingeleitet und Ansgar Müller zum Konkursverwalter bestellt worden
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In den folgenden Minuten funktionierte ich wie eine meiner seelenlosen Produktionsanlagen. Ich schaltete meinen Verstand und meine Gefühle aus und erhob mich, um einige Unterlagen zusammenzupacken
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Müller hielt mich davon ab. „Hier bleibt alles so, wie es ist. Sie können Ihre persönlichen Sachen mitnehmen, mehr nicht. Keine Firmenunterlagen, keine Briefe, keine Akten! Und vergessen Sie nicht, mir Ihre Schlüssel zu geben!“
Eine halbe Stunde später verließ ich, begleitet von neugierigen Blicken meiner Mitarbeiter, meine Firma. In keinem der Gesichter konnte ich Mitgefühl ausmachen. Ich hätte mehr Loyalität erwartet. Hatte ich meine Leute nicht immer anständig behandelt? Die Erkenntnis, dass Menschen, für die ich immer da gewesen war, mich so schmählich hintergingen, wog mindestens so schwer wie das Gefühl, betrogen worden zu sein. Einzig meine Sekretärin hatte vom Weinen gerötete Augen und verabschiedete sich von mir
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Wie ich an diesem Tag nach Hause gekommen bin, ist mir ein Rätsel, aber irgendwie muss es mir wohl gelungen sein. Um runterzukommen schenkte ich mir ein Glas Rotwein ein. Ich hatte Glück, Renate war nicht da. Ihr in diesem Moment entgegenzutreten, wäre mir schwergefallen. Der Wein beruhigte allmählich meinen Puls. Das muss nicht das Ende sein, redete ich mir ein. Es gab Instanzen über Müller und Co.: Denn dass Müller und der glatzköpfige Abgeordnete unter einer Decke steckten und es von Anfang an auf meine Firma abgesehen hatten, stand für mich außer Frage. Deutschland war ein Rechtsstaat, es gab unabhängige Gerichte, die die abenteuerliche Entscheidung des Konkursgerichts für nichtig erklären würden. Auch die Landesregierung würde mir helfen. Mein Unternehmen bestand seit sechzig Jahren und hatte bis zum heutigen Tag einen einwandfreien Ruf. Der Innovationspreis und die Auszeichnung als vorbildlicher Ausbildungsbetrieb zeugten davon
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Ich setzte mich an den Schreibsekretär, nahm ein leeres Blatt Papier zur Hand und notierte mir Namen von Politikern und anderen Persönlichkeiten, die mir einen Gefallen schuldeten. Es waren insgesamt neun Namen, neun Menschen mit Einfluss, die mir auf die eine oder andere Weise helfen könnten. Ich war zuversichtlich, dass sie mich dabei unterstützen würden, meine Firma zu retten. Einigen auf der Liste hatte ich in verzwickten Situationen geholfen
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Als meine Frau nach Hause kam, erzählte ich ihr nichts von meinen Schwierigkeiten. Ich war bereit, den Kampf gegen Müller aufzunehmen, und zuversichtlich, am Ende als Sieger hervorzugehen. Schließlich war ich im Recht und Müller nur ein gewissenloser Betrüger
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H ANNOVER
A NFANG A PRIL 2012
Auch acht Tage nach dem ersten und vier Tage nach dem zweiten Mord tappte die Polizei noch immer im Dunkeln. Nennenswerte Fortschritte bei der Aufklärung der beiden Mordfälle ließen auf sich warten.
Die Medien wurden unruhig, in den Kommentaren der Journalisten klang erste Kritik an. Verena Hauser und ihr Team standen unter Druck. Für Verena war das nichts Neues. Jedes Mal, wenn es um Mordfälle im politischen Milieu ging, mischten sich Gott und die Welt ein: der Innenminister, der schnelle Ergebnisse will, der Ministerpräsident, der Ergebnisse vermeiden will, die sich am Ende als politisches Störfeuer erweisen, Oppositionspolitiker, die sich vor laufenden Kameras mit Kommentaren profilieren wollen, und Medien, die Sensationen wittern.
Die Landesregierung versuchte den Anschein von Normalität aufrechtzuerhalten und das Interesse auf ihre politische Arbeit zu lenken. Knapp drei Monate nach der gewonnenen Landtagswahl wollte sie ihr Personalkonzept durchsetzen und unliebsame Beamte in unbedeutende Positionen abschieben, um für eigene Leute Platz zu machen. In den
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