Die Kanzlerkandidatin - Kriminalroman
womöglich in den nächsten Tagen mit großem Tamtam eröffnet wird. Wo kommen wir denn da hin? Lassen Sie mich erst mit dem Ministerium Rücksprache halten. So, und jetzt an die Arbeit! Die nächste Lagebesprechung findet morgen um 15 Uhr statt.“
Beim Rausgehen raunte Pieper Verena ins Ohr: „Hirschmann kann das Großmaul Hetzel auch nicht leiden.“ Gut so, dachte Verena. Zurück in ihrem Büro, schrieb sie noch einmal alle bekannten Fakten zu den beiden Mordfällen auf. Sie war in Gedanken versunken, als überraschend Jürgen in ihrem Büro auftauchte. Das tat er fast nie. Er war erstaunlich gut drauf und wollte sie zum Essen ausführen. Der neue Job schien ihm Spaß zu machen. Verena war erleichtert über diese Entwicklung. München schien gestorben zu sein. Während des Essens unterhielt Jürgen sie mit einem lückenlosen, abwechslungsreichen Bericht über seine ersten Gespräche mit Oberbürgermeistern und Landräten. Verena war für die Ablenkung dankbar.
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H ANNOVER , I NNENSTADT
Was Frau Graf ihm wohl mitteilen wollte? Wagner war gespannt. In der Kakaostube war es brechend voll und er ergatterte nur mit Mühe einen freien Tisch in einer abgelegenen Ecke. Frau Graf war noch nicht da. Wagner war mit der festen Absicht gekommen, nur etwas zu trinken. Als seine Gesprächspartnerin auch nach fünf Minuten noch nicht erschienen war, trieb ihn die pure Langeweile zur Kuchentheke. Nur um die Zeit zu überbrücken, redete er sich ein. Die ältliche, korpulente Bedienung erkannte ihn auf Anhieb. „Ein Mandelhörnchen für Sie? Oder besser gleich zwei, Herr Wagner?“
„Auf keinen Fall! Nur etwas Leichtes, ein Stück Apfelkuchen vielleicht.“
„Oh, tatsächlich?“ Die Bedienung sah ihn erstaunt an, während sie ein Stück Apfelkuchen auf einen Teller gab. Der Kuchen war bereits verspeist, als Frau Graf mit zwanzig Minuten Verspätung endlich aufkreuzte.
Wortreich entschuldigte sie sich. „Herr Hansen ist mit den Nerven am Ende. Eine Besprechung jagt die nächste: Steuerberater, Kunden, Geschäftspartner, zwischendurch Telefonate mit Rechtsanwalt Hackmann und Frau Baumgart. Ihr Anruf hat ihm übrigens mächtig zugesetzt. Worum ging es denn?“ Sie wartete seine Antwort nicht ab, sondern redete einfach weiter. „Das Finanzamt hat sich auch schon gemeldet und die Kollegen wollen natürlich wissen, wie es mit dem Unternehmen weitergeht. Außerdem hat die Polizei Befragungen durchgeführt. Herrn Hansen war das gar nicht recht. ‚Die mischen den Laden auf und halten die Leute von der Arbeit ab‘, hat er gemeint. Morgen kommt übrigens die Tochter von Herrn Baumgart in Frankfurt an. Sie hat sich doch noch dazu durchgerungen, ihren indischen Guru für einige Tage zu verlassen. Für das Geld, das sie erbt, kann sie in Indien das Leben einer Maharani führen, mit eigenem Palast und allem Drum und Dran.“ Ihre Stimme klang verbittert. Wagner konnte es ihr nicht verdenken. Sie würde vierzig Jahre und mehr arbeiten, um am Ende eine kleine Rente zu bekommen, wohingegen Baumgarts Tochter mehrere Hundert Millionen erbte, ohne einen Handschlag dafür getan zu haben.
Nachdem sie ihren Getränkewunsch aufgegeben hatte, kam er zum Wesentlichen. „Sie wollten mir etwas mitteilen?“
Sie rückte näher an ihn heran, schaute sich um und verfiel in einen Flüsterton. „Es geht um diese Klinik, nach der Sie mich gefragt haben. Ich habe Ihnen nicht alles erzählt. Herr Hansen will nicht, dass ich darüber rede. Als ich ihm gesagt habe, was ich weiß, hat er sehr ungehalten reagiert. ‚Bringen Sie bloß nicht die Firma in Verruf‘, hat er gesagt. ‚Sie schaden uns allen damit.‘ “ Erneut schaute sie sich verstohlen um, bevor sie noch immer flüsternd fortfuhr: „Das ging nämlich schon länger. Mit der Klinik, meine ich. Allerdings habe ich das immer nur am Rande mitbekommen, wenn mein Chef und Herr Wächter sich darüber unterhalten haben. Als ich den Chef einmal darauf angesprochen habe, ist er total ausgeflippt und hat mir vorgeworfen, seine Gespräche zu belauschen. Danach hat er mich auf Herz und Nieren geprüft. Er wollte wissen, was ich mitbekommen habe. Viel war es ja nicht. Er hat mir strikt untersagt, mit irgendjemandem über das Vorhaben zu sprechen. Selbst mit Herrn Hansen nicht.“
Sie stockte, schaute sich abermals prüfend um und rückte ihren Stuhl noch näher an seinen heran. Ihr Parfüm roch aufdringlich. Wenn sie nicht beträchtlich älter gewesen wäre als er, hätte man sie für ein
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