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Die Kanzlerkandidatin - Kriminalroman

Die Kanzlerkandidatin - Kriminalroman

Titel: Die Kanzlerkandidatin - Kriminalroman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wilhelm Braumüller <Wien>
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Milizen in Acht, die kontrollieren jetzt die Stadt. Sie sind unberechenbar“, hatte er den erschöpften Flüchtlingen mit auf den Weg gegeben, bevor er gewendet hatte und Richtung Süden davongefahren war.
    Nach einer knappen Stunde erreichten die Flüchtlinge die Altstadt von Tripolis. Taban war beeindruckt. Die Häuser waren ganz anders als in seinem Wohnviertel in Rabak, größer und prächtiger. Statt armseliger Stände vor Lehmhäusern gab es Geschäfte mit Jalousien und richtigen Türen. Und weit und breit keine Müllberge, in Rabak hingegen lag überall Abfall herum. Auch die Menschen waren anders gekleidet, westlich, und viele Frauen waren unverschleiert. In Rabak, vor allem in dem Viertel, in dem Taban wohnte, wäre das undenkbar gewesen. Unverschleierte Frauen waren verpönt. Und obwohl in Tripolis Bürgerkrieg geherrscht hatte, sahen alle wohlgenährt aus. Im Sudan hingegen waren viele Menschen unterernährt.
    In einem Supermarkt kauften sie Cola und Fladenbrot. Die Cola kostete zwölf Dinar. Es war Taban durchaus bewusst, dass er mit seinem Geld haushalten musste. Jetzt war es ihm trotzdem egal, er hatte höllischen Durst und Cola war sein Lieblingsgetränk.
    In einer Häusernische erleichterten sie ihre Blase. Eine Frau bemerkte sie im Vorbeigehen und schimpfte lautstark. In Rabak würde das keine Frau wagen. Selbst wenn seine Mutter von seinem Vater geschlagen wurde, was häufig passierte, hatte sie es schweigend hingenommen. Alle Frauen, die Taban kannte, nahmen die Prügel der Männer widerspruchslos hin. An wen hätten sich die Frauen auch wenden sollen?
    Umar steuerte zielstrebig eine bestimmte Straße an. Von seinen früheren Aufenthalten kannte er einen Libyer, der Zimmer an Flüchtlinge vermietete. Kurz vor Einbruch der Dunkelheit erreichten die beiden das Haus. Der Besitzer öffnete gleich nach dem ersten Klopfen. Bevor er sie hereinließ, schaute er sich gründlich in der schmalen Gasse um. „Seitdem Gaddafi weg ist, muss man höllisch aufpassen“, begründete er seine Vorsicht. „Die Milizen der Revolutionäre haben sich die Stadt aufgeteilt und jeder hält die Hand auf. Ich war gegen die Revolution. Vorausgesetzt, man hielt die Klappe, hatte man unter Gaddafi nichts zu befürchten. Von Demokratie und Freiheit kannst du Brot und Gemüse nicht kaufen, Fleisch schon gar nicht!“, entrüstete er sich.
    Sie wurden über eine schmale Steintreppe in die erste Etage in das ihnen zugedachte Zimmer geführt. In dem nur mit einem Lichtschacht belüfteten Raum lagen dicht nebeneinander sechs Luftmatratzen. Zwei davon waren mit Afrikanern belegt, die tief und fest schliefen. „Die beiden kommen aus Eritrea. Sie haben eine tagelange Reise hinter sich, größtenteils zu Fuß. Die werden euch heute Nacht nicht stören“, sagte der Vermieter. Dann hielt er ihnen seine geöffnete rechte Hand entgegen. „Erst das Geld! Das macht für beide zusammen zweihundert Dinar für die Nacht. Die Toilette ist im Untergeschoss, duschen dürft ihr auch, aber nur einmal. Das Wasser ist knapp.“
    Umar protestierte wegen des hohen Preises. „Wenn ihr nicht zahlen wollt, verschwindet wieder. Das Leben ist nach dem Krieg teurer geworden.“ Notgedrungen gab Umar klein bei. „Lass uns pennen“, schlug er vor, nachdem der geldgierige Libyer gegangen war. „Duschen können wir morgen früh. Danach gehen wir zum Hafen und suchen uns ein Boot, das uns mit nach Italien nimmt. Und pass auf dein Geld auf, falls einer von den beiden heute Nacht aufwacht.“ Zwei Minuten später war Umar eingeschlafen.
    Duschen? Toiletten? Welch ein Luxus, dachte Taban. Bei sich zu Hause wurde die Notdurft in einer Sickergrube verrichtet und man wusch sich am Waschtrog. Obwohl er hundemüde war, fand er keinen Schlaf. Durch den Lichtschacht drang Lärm ins Zimmer. Auch in Rabak war es häufig laut gewesen. Hochzeiten waren ein großes Ereignis, das selbst arme Familien bis spät in die Nacht hinein feierten. Klänge der Hochzeitssänger durchdrangen dann die nächtliche Ruhe. Der Lärm in Tripolis war anders, ein ständiger Geräuschpegel eines nicht abreißenden Verkehrsstroms und Stimmengewirr von Menschen, die sich lautstark in der Gasse unter ihnen unterhielten. Aus einem der Nachbarhäuser drang westliche Musik zu ihnen hoch und in der Ferne glaubte er das Lachen von Frauen zu hören. Wo er zu Hause war, war es undenkbar, dass Frauen nachts auf den Straßen lachten. Auch westliche Musik und Alkohol waren verboten. Wer sich nicht daran

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