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Die Kanzlerkandidatin - Kriminalroman

Die Kanzlerkandidatin - Kriminalroman

Titel: Die Kanzlerkandidatin - Kriminalroman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wilhelm Braumüller <Wien>
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hielt, musste mit Peitschenhieben rechnen. In den Dörfern wurden Frauen und Männer, die sich nicht an die Scharia hielten, sogar öffentlich hingerichtet. Großonkel Ali hatte ihnen von Steinigungen in seinem Dorf erzählt, die als großes Ereignis inszeniert wurden. Manchmal dauerte es Stunden, bis die Opfer qualvoll starben.
    Taban kam sich verloren vor. Irgendwo auf der beschwerlichen Fahrt durch die libysche Wüste war ihm seine Zuversicht abhanden gekommen. Mit jedem Kilometer waren die Einsamkeit und die Angst vor der Fremde gewachsen. Er vermisste seine Mutter und seine Geschwister. Das Heimweh war plötzlich so stark, dass er die Tränen nicht mehr unterdrücken konnte.
    „Du flennst doch nicht etwa?“, hörte er Umars Stimme neben sich.
    „Natürlich nicht“, antwortete Taban und wischte sich verstohlen die Tränen aus dem Gesicht. Wie gut, dass es stockdunkel war.
    „Wenn du in Deutschland was werden willst, musst du stark sein, sonst gehst du unter. Vermutlich erreichst du es nicht einmal“, sagte Umar.
    Taban schämte sich. Hatte seine Familie nicht alles gegeben, um seine Reise zu finanzieren? Sogar seine jüngste Schwester hatte sie an den stinkenden Großonkel verkauft. Er durfte seine Familie nicht enttäuschen. Lautlos betete er zu Allah und flehte ihn an um ein starkes Herz und Mut. Erst im Morgengrauen, kurz vor dem ersten Adhan, schlief er endlich ein.
    Umar weckte ihn unsanft. Die beiden Männer aus Eritrea waren bereits gegangen. Sie hatten Umar erzählt, dass sie sich Arbeit in Tripolis suchen wollten, um sich einen Bootsplatz zu verdienen. Das Wasser aus der Dusche war nur ein dünnes Rinnsal, aber für Taban der reinste Luxus.
    Nach ihrem Frühstück, dem restlichen Fladenbrot von gestern und Tee, den der Wirt ihnen für 10 Dinar verkaufte, machten sie sich auf den Weg zum Hafen. Sie gingen durch schmale Gassen an Läden und Straßenhändlern vorbei, die lautstark ihre Waren anpriesen. Noch niemals zuvor hatte Taban so imponierende Stadttore gesehen. Er kam aus dem Staunen nicht mehr heraus, als sie eine riesige Palastanlage passierten. „Die Rote Burg“, klärte Umar ihn auf. Taban wäre gerne stehen geblieben, um die imposante Anlage zu bewundern, doch Umar drängte zur Eile.
    Auch die Hafenstraße beeindruckte Taban. Sie war von Palmen umsäumt und anders als die Straßen in Rabak wies sie keine Löcher auf. Es gab sogar einen extra Streifen nur für Fußgänger. „Die Menschen hier müssen sehr reich sein. Weshalb können wir nicht hier arbeiten?“, fragte er Umar.
    Dieser lachte höhnisch. „Weil hier Scheißaraber das Sagen haben, die uns Afrikaner wie Dreck behandeln. In Deutschland mögen sie uns auch nicht, aber dort zahlen sie wenigstens gut. Selbst wenn du keine Arbeit findest, bekommst du Geld. Du musst nur den richtigen Anwalt finden, der kümmert sich dann um alles. Hier hingegen zahlen sie dir gerade so viel, dass es zum Überleben reicht. Für deine Verwandtschaft bleibt nichts übrig.“
    Im Hafen herrschte buntes Treiben. Umar handelte den Libyer, der ihnen zwei Bootsplätze für 2000 Dinar anbot, auf 1500 Dinar herunter. Das Schiff, auf dem sie zusammen mit achtzig anderen Flüchtlingen nach Anbruch der Dunkelheit losfahren sollten, wirkte ramponiert und morsch. Umar meinte, dass sie keine andere Wahl hätten. Die meisten Boote für den Flüchtlingstransport seien Rostlauben. Damit müsse man sich abfinden.
    In dem Moment, als das Geld seinen Besitzer wechseln sollte, trat von der Seite ein gut angezogener Mann auf sie zu. Er wandte sich an Umar. Taban hatte Schwierigkeiten, ihn zu verstehen. Sein Englisch klang ganz anders als in seiner Heimat. „Wenn ihr nach Italien wollt, könnt ihr auch mit mir kommen. Ich habe auf meinem Katamaran noch zwei Plätze frei. Sie sind vor ein paar Minuten frei geworden. Wir fahren in einer Stunde ab.“ Erst jetzt bemerkte Taban den Mann hinter ihm. Er war ebenfalls hellhäutig, sah aber ungepflegter aus.
    Umar war skeptisch. Ein Katamaran war für sie unbezahlbar. Den konnten sich nur besonders gut betuchte Flüchtlinge leisten, Söhne von Regierungsmitgliedern und Stammesfürsten. Zu seiner Überraschung verlangte der Gutgekleidete nur 600 Dinar von jedem von ihnen.
    Beim Anblick des Katamarans war Taban überwältigt. Noch niemals zuvor hatte er ein solches Motorboot gesehen. Im Inneren gab es eine Kabine mit einem Doppelbett, genug Platz für Taban und seine beiden Mitreisenden, neben Umar ein weiterer Flüchtling aus

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