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Die Kapuzinergruft

Die Kapuzinergruft

Titel: Die Kapuzinergruft Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joseph Roth
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zog sie zum Beispiel kaum zehn Minuten, nachdem sich die Bahn in Bewegung gesetzt hatte, ein Buch aus dem Köfferchen. Es lag neben dem Toilettenetui über der Wäsche – ich dachte an Brauthemd –, und die Tatsache allein, daß ein gleichgültiges Buch auf einem nahezu sakramentalen Gewand liegen durfte, erschien mir würdelos. Es waren übrigens gesammelte Skizzen eines jener norddeutschen Humoristen, die damals zugleich mit unserer Nibelungentreue, mit dem Deutschen Schulverein, mit den Hochschuldozenten aus Pommern, Danzig, Mecklenburg und Königsberg in Wien ihre verregnete Heiterkeit spazierenführten und ihr strapaziöses Behagen zu verbreiten begannen. Elisabeth sah von Zeit zu Zeit aus dem Buch auf, blickte mich an, schaute eine Weile zum Fenster hinaus, unterdrückte ein Gähnen und las weiter. Auch hatte sie eine Art, die Knie übereinanderzuschlagen, die mir geradezu indezent vorkam. Ob das Buch ihr gefalle, fragte ich sie. »Humorvoll!« entschied sie schlankweg. Sie reichte mir das Buch, damit ich selbst prüfe. Ich begann, eine der törichten Geschichten in der Mitte zu lesen, es war die Rede von dem goldigen Humor Augusts des Starken und von einer Beziehung zu einer seiner fürwitzigen Hofdamen. Die zwei Eigenschaftswörter, für mein Gefühl durchaus bezeichnend für preußische und sächsische Seelen, sobald sie sich in Sonntagsrast befinden, genügten mir. Ich sagte: »Ja, goldig und fürwitzig!« Elisabeth lächelte und las weiter. Wir gingen ins Hotel »Zum goldenen Löwen«. Unser alter Diener wartete, der einzige, der von unserm Badener Plan wußte. Er gestand mir sofort, daß er ihn meiner Mutter verraten hatte. Er stand da, an der Endstation der Elektrischen, den steifen Halbzylinder in der Hand, den er von meinem Vater geerbt haben mochte, und überreichte meiner Frau einen Strauß dunkelroter Rosen. Er hielt den Kopf gesenkt, in seinem blanken Scheitel spiegelte sich die Sonne wie ein Sternchen, ein silbernes Körnchen. Elisabeth war still. Wenn sie doch nur ein Wort fände! dachte ich. Nichts erfolgte. Die stumme Zeremonie dauerte unendlich lange. Unsere beiden Köfferchen standen auf dem Trottoir. Elisabeth drückte die Rosen mitsamt ihrer Handtasche an die Brust. Der Alte fragte, womit er uns noch dienen könne. Er hatte auch herzliche Grüße von meiner Mutter auszurichten. Mein Koffer, meine zweite Uniform, meine Wäsche seien schon im Hotel. »Ich danke dir!« sagte ich. Ich merkte, wie Elisabeth ein wenig zur Seite wich. Dieses Ausweichen, ja Abrücken reizte mich. Ich sagte: »Begleite uns zum Hotel! Ich möchte noch mit dir sprechen!« – »Zu Befehl!« sagte er, hob die Köfferchen und folgte uns.
    »Ich möchte noch mit dem Alten sprechen!« sagte ich zu Elisabeth. »In einer halben Stunde!«
    Ich ging mit Jacques ins Kaffeehaus. Er hielt den Halbzylinder auf den Knien, ich nahm ihn sachte weg und legte ihn auf den Stuhl nebenan. Aus den fernen, blaßblauen, etwas feuchten Greisenaugen strömte mir die ganze Zärtlichkeit Jacques' entgegen, und mir war, als hätte meine Mutter in seine Augen eine letzte mütterliche Botschaft für mich gelegt. Seine gichtigen Hände (ich hatte sie lange nicht nackt, sondern nur in weißen Handschuhen gesehen) zitterten, als sie die Kaffeetasse hoben. Es waren alte, gute Dienerhände. Warum hatte ich sie niemals beachtet? Die blauen Knötchen saßen auf den gekrümmten Fingergelenken, die Nägel waren flach, stumpf und vielfach gespalten, der Knochen am Gelenk seitwärts verschoben und schien widerwillig den steifen Rand der altmodischen Manschettenrollen zu ertragen, und unzählige Äderchen, blaßblau, bahnten sich, winzigen Flüssen gleich, mühsame Wege unter der rissigen Haut des Handrückens.
    Wir saßen im Garten des Cafés Astoria. Ein welkes goldenes Kastanienblatt wirbelte langsam auf den kahlen Schädel Jacques', er fühlte es nicht, seine Haut war eben alt und unempfindlich geworden, ich ließ das Blatt dort liegen. »Wie alt bist du?« fragte ich. »Achtundsiebzig, junger Herr!« antwortete er, und ich sah einen einzigen, großen gelben Zahn unter seinem dichten schneeigen Schnurrbart. »Ich sollte eigentlich in den Krieg ziehen, nicht die Jungen!« fuhr er fort. »Im Jahre 66 war ich dabei, gegen die Preußen, bei den Fünfzehnern.« – »Wo bist du geboren?« fragte ich. »In Sipolje!« sagte Jacques. »Kennst du die Trottas?« – »Freilich, alle, alle!« – »Sprichst du noch Slowenisch?« – »Hab' ich vergessen, junger

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