Die Kapuzinergruft
Wort. Ein winziges Sternlicht leuchtete uns von einem Haus in der Unteren Augartenstraße entgegen. Wir wußten beide, was der Stern ankündigen wollte. Wir gingen ihm entgegen.
Die Tapeten waren giftgrün, wie gewöhnlich. Es gab keine Beleuchtung. Der Portier zündete eine Kerze an, ließ ein paar Tropfen abschmelzen und klebte sie auf den Nachttisch. Über dem Waschbecken hing ein Handtuch. Eingestickt darin waren mitten in einem grünen, kreisrunden Kranz die Worte »Grüß Gott!« mit blutrotem Faden.
In diesem Zimmer, in dieser Nacht liebte ich Elisabeth. »Ich bin gefangen«, sagte sie mir. »Die Jolanth hat mich gefangengenommen. Ich hätte damals nicht weggehen sollen, in Baden, als Jacques gestorben ist.«
»Du bist nicht gefangen«, sagte ich. »Du bist bei mir, du bist meine Frau.«
Alle Geheimnisse ihres Körpers suchte ich zu erforschen, und ihr Körper hatte deren viele. Ein jugendlicher Ehrgeiz – ich hielt ihn damals für einen männlichen – gebot mir, alle Spuren auszulöschen, die Jolanth zurückgelassen haben könnte. War es Ehrgeiz? War es Eifersucht?
Langsam kroch der winterliche Morgen über die giftgrüne Tapete. Elisabeth weckte mich. Sie sah sehr fremd aus, wie sie mich so anblickte. Schrecken in den Augen und Vorwurf; ja, auch Vorwurf war in ihren Augen. Ihre strenge Krawatte, silbergrau, hing, einem kleinen Schwert ähnlich, über der Sessellehne. Sie küßte mich sachte auf die Augen, fuhr plötzlich auf und schrie: »Jolanth!«
Wir kleideten uns hastig an, in einer unnennbaren Scham. Der frühe Tag war schaurig. Es regnete winzige Hagelkörner. Wir hatten einen weiten Weg. Die Tramways verkehrten noch nicht. Wir gingen eine Stunde gegen den körnigen Regen bis zum Haus Elisabeths. Sie streifte die Handschuhe ab. Ihre Hand war kalt. »Auf Wiedersehen!« rief ich ihr nach. Sie wandte sich nicht um.
XXVI
Es war acht Uhr. Meine Mutter saß schon beim Frühstück, wie an allen Tagen. Der Ritus unserer Begegnung vollzog sich wie gewöhnlich. »Guten Morgen, Mama!« Meine Mutter überraschte mich heute mit einem »Servus, Bub!« Längst hatte ich diesen burschikosen Gruß nicht mehr aus ihrem Munde vernommen. Wann mochte sie ihn wohl zuletzt gebraucht haben? Vor zehn, vor fünfzehn Jahren vielleicht, als ich noch Gymnasiast war, in den Ferien, wenn ich am Frühstückstisch sitzen konnte. Damals pflegte sie noch manchmal den harmlosen Scherz hinzuzufügen, der ihr selbst sehr pointiert erscheinen mochte. Sie sagte nämlich, auf den Sessel deutend, auf dem ich saß: »Nun, drückt dich die Schulbank?« Einmal hatte ich »Jawohl, Mama!« geantwortet, und ich durfte dann drei Tage nicht mehr am Tisch sitzen.
Sie ging heute sogar dazu über, sich über die Marmelade zu beschweren. »Ich begreife nicht«, sagte sie, »woher die so viele Rüben hernehmen! Koste, Bub! Es ist gesund, haben sie geschrieben. Hol sie ...« Sie unterbrach sich, sie sprach Flüche niemals ganz aus. Ich aß Rüben und Margarine und trank Kaffee. Der Kaffee war gut. Ich bemerkte, daß mir unser Dienstmädchen aus einer anderen Kanne einschenkte, und ich begriff, daß die alte Frau den guten, mühselig erschlichenen Meinl-Kaffee für mich aufbewahrt hatte und sich selbst mit ihrem bitteren Zichorienzeug begnügte. Aber ich konnte mir nicht anmerken lassen, daß ich es wußte. Meine Mutter litt nicht, daß man ihre kleinen strategischen Züge durchschaute. Man mußte sich blindstellen. Ihre Eitelkeit war so groß, daß sie zuweilen sogar rachsüchtig werden konnte.
»Du hast also deine Elisabeth getroffen«, begann sie unmittelbar. »Ich weiß es, dein Schwiegervater war gestern hier. Wenn ich mir ein wenig Mühe gebe, verstehe ich ihn vollkommen. Er war zirka zwei Stunden hier. Er hat mir erzählt, daß du mit ihm gesprochen hast. Ich hab' ihm gesagt, daß ich es von dir erfahren könnte, aber er hat sich nicht aufhalten lassen. Du willst also dein Leben ordnen – hab' ich gehört. Was sagt Elisabeth dazu?«
»Ich war mit ihr zusammen.«
»Wo? Warum nicht hier?«
»Ich hab's nicht gewußt, Mama. Es war zu spät.«
»Er will dich also irgendwo mit hineinnehmen, sagte er. Du kannst nichts. Du kannst keine Frau ernähren. Ich weiß nicht, wo er dich hineinzunehmen gedenkt, immerhin müßtest du irgendeine Beteiligung aufbringen. Und wir haben nichts. Es ist alles in Kriegsanleihe angelegt. Verloren also, wie der Krieg. Uns bleibt dieses Haus. Man könnte, meinte er, eine Hypothek aufnehmen. Du könntest einmal
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