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Die Kapuzinergruft

Die Kapuzinergruft

Titel: Die Kapuzinergruft Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joseph Roth
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tat auch dieses mir! Alles war still und sanft. Das Tageslicht fiel milde durch das Glasdach. Es gab kein Fenster. Es gab noch alte, gute Getränke aus der Zeit vor dem Krieg. Als mein Schwiegervater kam, bestellte ich Cognac. Man brachte mir den alten Napoleon, wie einst. »Ein Teufelsbub!« sagte mein Schwiegervater. Nun, das war ich keineswegs.
    Ich sagte ihm, daß ich nunmehr mein Leben regeln müsse, unser Leben vielmehr. Ich sei, so sagte ich, keineswegs gesonnen, das Entscheidende hinauszuschieben. Ich müßte alles sofort wissen. Ich sei ein systematischer Mensch.
    Er hörte alles ruhig an. Dann begann er: »Ich will dir alles offen sagen. Erstens weiß ich nicht, ob Elisabeth noch geneigt wäre, mit dir zu leben, das heißt, ob sie dich liebt; das ist deine, das ist eure Sache. Zweitens: Wovon willst du leben? Was kannst du überhaupt? Vor dem Krieg warst du ein reicher junger Mann aus guter Gesellschaft, das heißt aus jener Gesellschaft, der mein Bubi angehört hat.« »Bubi!« – Es war mein Schwager. Es war Bubi, den ich nie hatte leiden mögen. Ich hatte ihn ganz vergessen. »Wo ist er?« fragte ich. »Gefallen!« antwortete mein Schwiegervater. Er blieb still und trank mit einem Zug das Glas leer. »1916 ist er gefallen«, fügte er hinzu. Zum erstenmal erschien er mir nahe und vertraut.
    »Also«, fuhr er fort, »du hast nichts, du hast keinen Beruf. Ich selbst bin Kommerzialrat und sogar geadelt. Aber das bedeutet jetzt nichts. Die Heeresverwaltungsstelle ist mir noch Hunderttausende schuldig. Man wird sie mir nicht zahlen. Ich habe nur Kredit und ein wenig Geld auf der Bank. Ich bin noch jung. Ich kann was Neues, was Großes unternehmen. Ich versuche es jetzt, wie du siehst, mit dem Kunstgewerbe. Elisabeth hat bei dieser berühmten Jolanth Szatmary gelernt. ›Werkstatt Jolanth›; unter dieser Marke könnte der Kram in die ganze Welt hinaus. Und außerdem«, setzte er träumerisch hinzu, »habe ich noch ein paar Eisen im Feuer.«
    Diese Wendung genügte mir, um mir ihn aufs neue unsympathisch zu machen. Er hatte es wohl gefühlt, denn er sagte gleich darauf: »Ihr habt kein Geld mehr, ich weiß es, deine Frau Mutter ahnt es noch nicht. Ich kann dich irgendwo mit hineinnehmen, wenn du magst. Aber sprich zuerst mit Elisabeth. Servus!«

XXV
    Ich sprach also zuerst mit Elisabeth. Es war, als grübe ich etwas aus, was ich selbst der Erde übergeben hatte. Trieb mich ein Gefühl, zog mich Leidenschaft zu Elisabeth hin? Von Geburt und Erziehung dazu geneigt, Verantwortungen zu tragen, und auch aus einem starken Widerstand gegen die Ordnung, die rings um mich herrschte und in der ich mich nicht auskannte, fühlte ich mich gezwungen, vor allem Ordnung in meinen eigenen Angelegenheiten zu schaffen.
    Elisabeth kam zwar zur verabredeten Stunde in jene Konditorei im Innern der Stadt, wo wir uns früher, in der Zeit meiner ersten Verliebtheit, getroffen hatten. Ich erwartete sie an unserm alten Tisch. Erinnerung, sogar Sentimentalität ergriff mich. Die marmorne Tischplatte mußte, so schien es mir, noch einige Spuren unserer, ihrer Hände aufweisen. Gewiß eine kindische, eine lächerliche Idee. Ich wußte es, aber ich zwang mich zu ihr, zwängte mich geradezu in sie ein, gewissermaßen, um zu dem Bedürfnis, »Ordnung zu schaffen in meinem Leben«, noch irgendein Gefühl fügen zu können und also meine Aussprache mit Elisabeth nach beiden Seiten hin zu rechtfertigen. Damals machte ich zum erstenmal die Erfahrung, daß wir nur flüchtig erleben, hurtig vergessen und flüchtig sind wie kein anderes Geschöpf auf Erden. Ich hatte Angst vor Elisabeth; den Krieg, die Gefangenschaft, Wiatka, die Rückkehr hatte ich fast schon ausgelöscht. Alle meine Erlebnisse brachte ich nur mehr noch in Beziehung zu Elisabeth. Und was bedeutete sie eigentlich, verglichen mit dem Verlust meiner Freunde Joseph Branco, Manes Reisiger, Jan Baranovitsch und meiner Heimat, meiner Welt? Nicht einmal meine Frau war Elisabeth, nach dem Wort und dem Sinn der bürgerlichen wie der kirchlichen Gesetze. (In der alten Monarchie hätten wir uns leicht scheiden lassen können, geschweige denn jetzt.) Hatte ich noch Verlangen nach ihr? Ich sah auf die Uhr. In fünf Minuten mußte sie dasein, und ich wünschte, sie möchte zumindest noch eine halbe Stunde zögern. Vor Angst aß ich die kleinen Schokoladetörtchen aus Zichorie und Zimt, die unsere Augen allein bestechen, aber unseren Gaumen nicht täuschen konnten. (Es gab keinen Schnaps in der

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