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Die Kapuzinergruft

Die Kapuzinergruft

Titel: Die Kapuzinergruft Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joseph Roth
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mit unserm Doktor Kiniower sprechen. Aber wo sollst du arbeiten, und was sollst du arbeiten? Verstehst du was von diesem Kunstgewerbe? Dein Schwiegervater versteht sehr viel davon. Sein Vortrag war noch ausführlicher als der von deiner Elisabeth. Und was ist das für eine Frau Professor Jolanth Keczkemet?«
    »Szatmary, Mama!« verbesserte ich.
    »Meinetwegen Szekely«, gab meine Mutter zu. »Aber wer ist das?«
    »Sie hat kurze Haare, Mama, und ich kann sie nicht leiden.«
    »Und Elisabeth ist ihre Freundin?«
    »Eine sehr gute Freundin!«
    »Eine sehr gute, sagst du?«
    »Jawohl, Mama!«
    »Aha!« sagte sie. »Dann laß das, Bub. Ich kenne derlei Freundschaften vom Hörensagen. Es genügt mir. Ich hab' manches gelesen, Bub! Du ahnst nicht, wieviel ich weiß; ein Freund wäre besser gewesen. Frauen sind kaum abzuschaffen. Und seit wann gibt's Frauen, die Professoren sind? Und von welcher Wissenschaft ist diese Keczkemet Professor?«
    »Szatmary, Mama!« verbesserte ich.
    »Meinetwegen: Lakatos«, sagte meine Mutter nach einiger Überlegung.
    »Also, was willst du gegen einen weiblichen Professor, Bub? Ein Ringkämpfer oder ein Schauspieler, das ist was anderes!«
    Wie wenig hatte ich meine Mutter gekannt! Diese alte Frau, die nur einmal in der Woche in den Stadtpark ging, um zwei Stunden lang »Luft zu schöpfen« und zu dem gleichen Zweck nur einmal im Monat im Fiaker bis zum Praterspitz zu fahren pflegte, wußte sogar über das sogenannte Verkehrte Bescheid. Wieviel mochte sie lesen, wie klar mußte sie überlegen und denken – in den langen, einsamen Stunden, die sie zu Hause verbrachte, auf ihren schwarzen Stock gestützt, wandelnd von einem unserer dunkel-gedämpften Zimmer ins andere, so einsam und so reich, so ahnungslos und so wissend, so weltfremd und so weltklug! Aber ich mußte Elisabeth verteidigen, was könnte meine Mutter denken, wenn ich es nicht täte! Es war meine Frau, ich kam soeben aus unserer Umarmung, noch fühlte ich in der Höhlung meiner Hände die glatte Kühle ihrer jungen Brüste, noch atmete ich den Duft ihres Körpers, noch lebte das Spiegelbild ihres Angesichts mit den beseligten, halbgeschlossenen Augen in meinen eigenen, und auf meinem Munde ruhte das Siegel ihrer Lippen. Ich mußte sie verteidigen – und während ich sie verteidigte, begann ich, sie aufs neue zu lieben.
    »Diese Frau Professor Szatmary«, sagte ich, »kann nichts gegen mich. Elisabeth liebt mich, ich bin dessen sicher. Gestern zum Beispiel ...«
    Meine Mutter ließ mich nicht ausreden: »Und heute?« fiel sie ein. »Heute ist sie wieder bei der Professor Halaszy!«
    »Szatmary, Mama!«
    »Ich geb' nichts auf derlei Namen, Bub, das weißt du, korrigiere mich nicht immerzu! Gedenkst du, mit Elisabeth zu leben, so mußt du sie erhalten. Du mußt also, wie dein Schwiegervater sagt, eine Hypothek auf unser Haus aufnehmen. Dann mußt du dich irgendwo mit hineinnehmen lassen, wie dein Schwiegervater sagt. Was sag' ich: unser Haus? Es ist dein Haus! Dann muß diese Professorin mit dem verflixten Namen sich damit begnügen, neue Korallen aus Tannenzapfen herzustellen – in Gottes Namen! Im Parterre haben wir noch eine Wohnung frei, vier Zimmer, glaub' ich, der Hausmeister weiß es. Ich hab' noch etwas auf der Bank, ich teile mit dir, frag den Doktor Kiniower wieviel! Kochen können wir gemeinsam. Kann Elisabeth kochen?«
    »Ich glaube nicht, Mama!«
    »Ich hab's einmal gekonnt«, sagte meine Mutter, »ich werd' mich wohl schon erinnern! Hauptsache ist, daß du mit Elisabeth leben kannst. Und sie mit dir!«
    Sie sagte nicht mehr: deine Elisabeth, ich hielt es für ein Zeichen besonderer mütterlicher Gnade.
    »Geh in die Stadt, Bub. Such deine Freunde auf! Vielleicht leben sie noch. Was glaubst du? Wenn du in die Stadt gingst?«
    »Jawohl, Mama!« sagte ich, und ich ging zu Stellmacher ins Kriegsministerium, um mich nach meinen Freunden zu erkundigen. Stellmacher mußte immer vorhanden sein. Mochte das Kriegsministerium jetzt auch nur noch ein Staatssekretariat sein! Stellmacher war gewiß vorhanden.
    Er war vorhanden, alt, eisgrau und gebeugt. Er saß da, hinter dem alten Schreibtisch, in seinem alten Zimmer. Aber er war in Zivil, in einem seltsamen, allzu weiten Anzug, der um seinen Körper schlotterte und außerdem noch gewendet war. Von Zeit zu Zeit griff er mit zwei Fingern zwischen Hals und Kragen. Das steife Leinen störte ihn. Seine Manschetten störten ihn. Er stieß sie immer wieder am Tischrand in die Ärmel

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