Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Kapuzinergruft

Die Kapuzinergruft

Titel: Die Kapuzinergruft Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joseph Roth
Vom Netzwerk:
mit meinem Überlegen, als die Frauen zurückkamen. Sie zahlten. Ich kam gar nicht dazu, die Kellnerin zu rufen. Aus Angst, ich könnte ihnen zuvorkommen und ihre Selbständigkeit beeinträchtigen, hatten sie die Kellnerin unterwegs auf dem kurzen Wege zwischen Toilette und Kassa sozusagen arretiert. Elisabeth drückte mir ein zusammengerolltes Stückchen Papier beim Abschied in die Hand. Fort waren sie zu Harufax, zur Sterilisierung. Ich rollte den kleinen Zettel auf. »Zehn Uhr abends Café Museum, allein«, hatte Elisabeth darauf geschrieben. Die Verwirrung sollte kein Ende nehmen.
    Das Kaffeehaus stank nach Karbid, das heißt nach faulenden Zwiebeln und Kadavern. Es gab kein elektrisches Licht. Es fällt mir äußerst schwer, mich bei penetranten Gerüchen zu sammeln. Geruch ist stärker als Geräusch. Ich wartete stumpf und ohne die geringste Lust, Elisabeth wiederzusehen. Ich hatte auch gar keine Lust mehr, »Ordnung zu schaffen«. Es war, als ob das Karbid mich endgültig von der wirklichen Rückständigkeit meines Bemühens, Ordnung zu schaffen, überzeugt hätte. Ich wartete nur noch aus Galanterie. Aber sie konnte nicht länger dauern als die sogenannte Polizeistunde. Und eigentlich fand ich nun diese Einrichtung, gegen die ich mich sonst empört hatte, als ein außergewöhnliches Entgegenkommen der Behörden. Gewiß wußten sie, was sie taten, diese Behörden. Sie zwangen unsereinen, unsere unpassenden Eigenschaften abzulegen und unsere heillosen Mißverständnisse zu berichtigen.
    Dennoch kam Elisabeth, eine halbe Stunde vor Schluß. Sie war hübsch, wie sie so hereinstürmte, etwas gejagtes Wild, in ihrem halbkurzen Biberpelz, Schnee in den Haaren und in den langen Wimpern und schmelzende Schneetropfen auf den Wangen. Es sah aus, als käme sie aus dem Wald zu mir geflüchtet.
    »Ich hab' der Jolanth gesagt, daß Papa krank ist«, begann sie. Und schon standen Tränen in ihren Augen. Sie begann zu schluchzen. Ja, obwohl sie einen männlichen Kragen mit Krawatte unter dem offenen Pelz zeigte, schluchzte sie. Behutsam nahm ich ihre Hand und küßte sie. Elisabeth war keineswegs mehr in der Stimmung, meinen Arm hinunterzudrücken. Der Kellner kam, schon übernächtig. Nur zwei Karbidlampen brannten noch. Ich dachte, sie würde einen Likör bestellen. Aber sie wünschte sich freilich Würstel mit Kren. Weinende Frauen haben Appetit, dachte ich. Außerdem rechtfertigte der Kren die Tränen. Der Appetit rührte mich. Die Zärtlichkeit überfiel mich, die verräterische, verhängnisvolle, männliche Zärtlichkeit. Ich legte den Arm um ihre Schultern. Sie lehnte sich zurück, mit einer Hand die Würstel in den Kren tauchend. Ihre Tränen rannen noch, aber sie hatten ebensowenig Bedeutung wie die schmelzenden Schneetropfen auf dem Biberpelz.
    »Ich bin ja deine Frau«, seufzte sie. Aber es klang eher wie ein Jauchzen.
    »Gewiß«, erwiderte ich. Brüsk setzte sie sich wieder aufrecht hin. Sie bestellte noch ein Paar Würstel mit Kren und Bier.
    Da man nun auch die vorletzte Karbidlampe auslöschte, mußten wir trachten, das Kaffeehaus zu verlassen. »Jolanth erwartet mich«, sagte Elisabeth vor der Tür des Cafés. »Ich werde dich begleiten«, sagte ich. Wir gingen still nebeneinander her. Ein lässiger, gleichsam verfaulender Schnee fiel hernieder. Die Laternen versagten, auch sie faul. Ein Körnchen Licht bargen sie in ihren gläsernen Gehäusen, geizig und gehässig. Sie erhellten die Straßen nicht, sie verfinsterten sie.
    Als wir das Haus der Frau Jolanth Szatmary erreichten, sagte Elisabeth: »Hier ist es, auf Wiedersehen!« Ich verabschiedete mich. Ich fragte, wann ich kommen dürfe. Ich machte Anstalten umzukehren. Plötzlich streckte mir Elisabeth beide Hände entgegen. »Laß mich nicht«, sagte sie. »Ich gehe mit dir.« –
    Nun, ich nahm sie mit. Ich konnte mit Elisabeth in keines jener Häuser eintreten, in denen man mich aus vergangenen Zeiten vielleicht noch kennen mochte. In dieser großen, verwaisten, finsteren Stadt irrten wir wie zwei Waisenkinder umher. Elisabeth hielt sich fest an meinem Arm. Durch ihren Pelz spürte ich ihr flatterndes Herz. Manchmal blieben wir unter einer der spärlichen Laternen stehen, dann sah ich in ihr nasses Gesicht. Ich wußte nicht, ob es Tränen waren oder Schnee.
    Wir waren, kaum daß wir es wußten, am Franz-Josephs-Kai angelangt. Ohne daß wir es wußten, gingen wir über die Augartenbrücke. Es schneite immer noch, faul und häßlich, und wir sprachen kein

Weitere Kostenlose Bücher