Die Kapuzinergruft
Konditorei.)
Elisabeth kam. Sie kam nicht allein. Ihre Freundin Jolanth Szatmary begleitete sie. Ich hatte natürlich erwartet, daß sie allein kommen würde. Als aber auch Jolanth Szatmary erschien, wunderte ich mich gar nicht darüber. Es war mir klar, daß Elisabeth ohne diese Frau nicht gekommen wäre, nicht hätte kommen können. Und ich verstand.
Ich hatte keinerlei Vorurteile, o nein! In der Welt, in der ich groß geworden war, galt ein Vorurteil beinahe als ein Zeichen der Vulgarität. Allein, das als verboten Geltende öffentlich zu demonstrieren erschien mir billig. Wahrscheinlich hätte Elisabeth eine Frau, in die sie nicht verliebt war, zu unserer Zusammenkunft nicht mitgehen lassen. Hier mußte sie gehorchen.
Erstaunlich war die Ähnlichkeit der beiden, obwohl sie so verschieden geartet waren und so verschieden von Gesicht. Dies kam von der Ähnlichkeit ihrer Kleidung und ihrer Gebärden. Man hätte sagen können, sie seien einander ähnlich wie Schwestern oder vielmehr wie Brüder. Wie Männer zu tun pflegten, zögerten sie vor der Tür, welche von beiden der andern den Vortritt lassen solle. Wie Männer zu tun pflegen, zögerten sie noch am Tisch, welche von beiden sich zuerst setzen sollte. Ich machte auch nicht einmal einen schüchternen Versuch mehr, der einen und der andern die Hand zu küssen. Ich war ein lächerliches Ding in ihren Augen, Sohn eines kümmerlichen Geschlechts, einer fremden, geringgeschätzten Rasse, zeit meines Lebens unfähig, die Weihen der Kaste zu empfangen, der sie angehörten, und der Geheimnisse teilhaft zu werden, die sie hüteten. Ich war noch in den infamen Vorstellungen begriffen, daß sie einem schwachen, gar einem inferioren Geschlecht angehörten, und frech genug, diese meine Vorstellungen durch Galanterie deutlich zu machen. Entschlossen und geschlossen saßen sie neben mir, als hätte ich sie herausgefordert. Zwischen den beiden war ein stummer, aber sehr deutlicher Bund gegen mich gültig. Er war sichtbar. Auch wenn ich das Gleichgültigste sagte, tauchten sie ihre Blicke ineinander, wie zwei Menschen, die schon längst gewußt haben, welcher Art ich sei und welcher Äußerungen fähig. Manchmal lächelte die eine, und den Bruchteil einer Sekunde später wiederholte sich das gleiche Lächeln um die Lippen der anderen. Von Zeit zu Zeit glaubte ich zu bemerken, daß Elisabeth sich mir zuneigte, mir einen verstohlenen Blick zu schenken versuchte, als hätte sie mir beweisen wollen, daß sie eigentlich zu mir gehöre und daß sie nur der Freundin gehorchen müsse, gegen Willen und Neigung. Wovon hatten wir zu sprechen? Ich erkundigte mich nach ihrer Arbeit. Ich vernahm einen Vortrag über die Unfähigkeit Europas, Materialien, Intentionen, Genialität des Primitiven zu erkennen. Notwendig war es, den ganzen verirrten Kunstgeschmack des Europäers auf den rechten, natürlichen Weg zu bringen. Der Schmuck war, soviel ich verstand, ein Nutzgegenstand. Ich zweifelte nicht daran. Ich sagte es auch. Auch gab ich bereitwillig zu, daß der Kunstgeschmack der Europäer verirrt sei. Ich konnte nur nicht einsehen, weshalb lediglich dieser verirrte Kunstgeschmack allein schuld sein sollte an dem ganzen Weltuntergang; vielmehr sei er doch eine Folge, sicherlich nur ein Symptom.
»Symptom!« rief die Frau Jolanth. »Ich hab' dir gleich gesagt, Elisabeth, daß er ein unheilbarer Optimist ist! Hab' ich ihn nicht auf den ersten Blick erkannt?« – Dabei legte Frau Jolanth ihre beiden kleinen, breiten Hände auf die Hand Elisabeths. Bei dieser Bewegung glitten die Handschuhe der Frau Jolanth von ihrem Schoß auf den Boden, ich bückte mich, aber sie stieß mich heftig zurück. »Verzeihen Sie«, sagte ich, »ich bin ein Optimist.«
»Sie mit Ihren Symptomen!« rief sie aus. Es war mir klar, daß sie das Wort nicht verstand.
»Um acht Uhr spricht Harufax über freiwillige Sterilisierung«, sagte Frau Jolanth. »Vergiß nicht, Elisabeth! Jetzt ist sieben.«
»Ich vergess' nicht«, sagte Elisabeth.
Frau Jolanth erhob sich, mit einem schnellen Blick befahl sie Elisabeth, ihr zu folgen. »Entschuldige!« sagte Elisabeth. Gehorsam folgte sie der Frau Jolanth in die Toilette.
Sie blieben ein paar Minuten weg, Zeit genug für mich, um mir darüber klarzuwerden, daß ich die Verwirrung nur noch steigerte, wenn ich darauf beharrte, »Ordnung in mein Leben zu bringen«. Ich geriet nicht nur allein in die Verworrenheit, ich vergrößerte sogar auch noch die allgemeine. So weit war ich
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