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Die Kapuzinergruft

Die Kapuzinergruft

Titel: Die Kapuzinergruft Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joseph Roth
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zurück. Er wußte einigermaßen Bescheid: Chojnicki lebte noch, er wohnte auf der Wieden; Dworak, Szechenyi, Hallersberg, Lichtenthal, Strohhofer spielten jeden Tag Schach im Café Josefinum in der Währinger Straße. Stejskal, Halasz und Grünberger waren verschollen. Ich ging zuerst zu Chojnicki auf der Wieden.
    Er saß in seinem alten Salon, in seiner alten Wohnung. Er war kaum zu erkennen, denn er hatte sich den Schnurrbart rasieren lassen. »Warum, wozu?« fragte ich ihn. »Damit ich wie mein Diener aussehe. Ich bin mein eigener Lakai. Ich öffne mir selber die Tür. Ich putze mir selbst die Stiefel. Ich klingle, wenn ich was brauche, und komme selbst herein. Herr Graf befehlen? – Zigaretten! – Hierauf schicke ich mich in die Tabak-Trafik. Essen kann ich noch umsonst bei der Alten.« – Darunter verstand man in unserm Kreis die Frau Sacher. »Wein bekomme ich noch beim Dicken.« – Darunter verstand man in unserm Kreis den Lautgartner in Hietzing. »Und der Xandl ist verrückt im Steinhof«, so schloß Chojnicki seinen tristen Bericht.
    »Verrückt?«
    »Total verrückt. Jede Woche besuch' ich ihn. Das Krokodil«, es war der Onkel der Brüder Chojnicki, Sapieha, »hat die Güter mit Beschlag belegt. Er ist der Kurator Xandls. Ich habe gar kein Einspruchsrecht. Diese Wohnung ist verpfändet. Noch drei Wochen kann ich hier bleiben. Und du, Trotta?«
    »Ich will eine Hypothek auf unser Haus nehmen. Ich hab' geheiratet, du weißt. Ich muß eine Frau erhalten.« – »Oh, oh, geheiratet!« rief Chojnicki. »Das hab' ich auch. Aber meine Frau ist in Polen. Möge Gott sie dort erhalten, lange und gesund. Ich habe mich entschlossen«, fuhr er fort, »dem Allmächtigen alles zu überlassen. Er hat mir die Suppe eingebrockt, die Untergangssuppe, und ich weigere mich, sie auszulöffeln.« Er schwieg eine Weile, dann hieb er mit der Faust auf den Tisch und schrie: »An allem seid ihr schuld, ihr, ihr«, er suchte nach einem Ausdruck, »ihr Gelichter«, fiel ihm endlich ein, »ihr habt mit euren leichtfertigen Kaffeehauswitzen den Staat zerstört. Mein Xandl hat's immer prophezeit. Ihr habt nicht sehen wollen, daß diese Alpentrottel und die Sudetenböhmen, diese kretinischen Nibelungen, unsere Nationalitäten so lange beleidigt und geschändet haben, bis sie anfingen, die Monarchie zu hassen und zu verraten. Nicht unsere Tschechen, nicht unsere Serben, nicht unsere Polen, nicht unsere Ruthenen haben verraten, sondern nur unsere Deutschen, das Staatsvolk.«
    »Aber meine Familie ist slowenisch«, sagte ich.
    »Verzeih«, sagte er leise. »Ich hab' nur keine Deutschen in der Nähe. Einen Sudetendeutschen her!« schrie er plötzlich wieder, »und ich erwürge ihn! – Gehn wir, suchen wir ihn auf! Komm! – Wir ziehen ins Josefinum.«
    Dworak, Szechenyi, Hallersberg, Lichtenthal und Strohhofer saßen dort, die meisten noch in Uniform. Sie alle gehörten der alten Gesellschaft an. Die Adelstitel waren verboten, was machte es? »Wer mich nicht beim Vornamen kennt«, sagte Szechenyi, »hat überhaupt keine gute Erziehung genossen!« – Sie spielten unermüdlich Schach. – »Wo ist der Sudet?« rief Chojnicki. »Hier bin ich!« sagte der Sudet. Er war ein Kiebitz. Papa Kunz, alter Sozialdemokrat, Redakteur des Parteiblatts und jeden Augenblick bereit, historisch zu beweisen, daß die Österreicher eigentlich Deutsche seien. »Beweisen Sie!« rief Szechenyi. Papa Kunz bestellte einen doppelten Sliwowitz und machte sich an seinen Beweis. – Niemand hörte ihm zu. – »Gott strafe die Sudeten!« schrie Chojnicki, der eben eine Partie verloren hatte. Er sprang auf und lief mit erhobenen und geballten Fäusten auf den alten Papa Kunz los. Wir hielten ihn zurück. Schaum stand vor seinem Munde, Blut rötete seine Augen. »Markomannische Quadratschädel!« rief er endlich. Es war der Gipfel seiner Rage. Jetzt wurde er zusehends sanfter.
    Ich fühlte mich wohl, ich war wieder zu Hause. Wir hatten alle Stand und Rang und Namen, Haus und Geld und Wert verloren, Vergangenheit, Gegenwart, Zukunft. Jeden Morgen, wenn wir erwachten, jede Nacht, wenn wir uns schlafen legten, fluchten wir dem Tod, der uns zu seinem gewaltigen Fest vergeblich gelockt hatte. Und jeder von uns beneidete die Gefallenen. Sie ruhten unter der Erde, und im nächsten Frühling würden Veilchen aus ihren Gebeinen wachsen. Wir aber waren heillos unfruchtbar heimgekehrt, mit lahmen Lenden, ein todgeweihtes Geschlecht, das der Tod verschmäht hatte. Der Befund der

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