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Die Kapuzinergruft

Die Kapuzinergruft

Titel: Die Kapuzinergruft Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joseph Roth
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schließen: »Und doch geht alles noch gut aus! Gott ist ein Vater!« Diesen Satz wiederholte er überhaupt bei jeder verwickelten Angelegenheit. Dieser Enkel Abrahams, der Erbe eines Segens und eines Fluches, leichtfertig als Österreicher, schwermütig als Jude, gefühlvoll, aber genau bis zu jener Grenze, an der ein Gefühl anfangen kann, Gefahr zu werden, klarsichtig trotz einem wackligen und schiefsitzenden Zwicker, war mir mit der Zeit lieb geworden wie ein Bruder. Oft kam ich in seine Kanzlei, ohne Grund, ohne Not. Auf seinem Arbeitstisch standen die Photographien seiner zwei Söhne. Der ältere war gefallen. Der jüngere lernte Medizin. »Er hat soziale Rosinen im Kopf!« sagte der alte Doktor Kiniower. »Und um wieviel wichtiger wäre ein Heilmittel gegen Krebs! Ich fürchte, ich hab' selber einen, hinten, in der Niere. Wenn mein Sohn schon Medizin studiert, sollte er an seinen alten Vater denken, nicht an die Erlösung der Welt. Genug der Erlöser! Aber Sie wollen ja das Kunstgewerbe erlösen! Ihre Frau Mama wollte das Vaterland erlösen. Sie hat das ganze beträchtliche Vermögen in Kriegsanleihen angelegt. Eine lächerliche Lebensversicherung bleibt noch. Ihre Frau Mama bildet sich wahrscheinlich ein, sie reichte für ein beschauliches Alter aus. Zwei Monate könnte sie knapp davon leben. Sie haben keinen Beruf. Sie werden wohl auch keinen finden. Aber wenn Sie nicht etwas zu verdienen anfangen, werden Sie untergehn. Ich rate Ihnen: Sie haben ein Haus, machen Sie daraus eine Pension. Versuchen Sie's Ihrer Frau Mama begreiflich zu machen. Diese Hypothek ist nicht die letzte, die Sie aufnahmen. Sie werden noch eine dritte und eine vierte brauchen. Glauben Sie mir! Gott ist ein Vater!«
    Herr von Stettenheim kam oft zu meiner Mutter, selten kündigte er sich vorher an. Meine Mutter empfing ihn immer warmherzig, manchmal sogar begeistert. Mit staunendem Kummer sah ich zu, wie die alte, verwöhnte und strenge Frau heiter nachsichtig die grobschlächtigen Scherze, die billigen Wendungen, die aufreizenden Handbewegungen annahm, billigte, lobte und wertschätzte. Herr von Stettenheim hatte die Gewohnheit, seine linke Hand nach einer brüsken, erschreckenden Streckung des Ellbogens vor die Augen zu führen, um nach der Stunde auf seiner Armbanduhr zu sehn. Mir schien es immer, als hätte er einen glücklicherweise nicht vorhandenen Nachbarn zu seiner Linken gestoßen. Wie eine Gouvernante pflegte er, wenn er die Kaffeetasse hob, den kleinen Finger der rechten Hand zu spreizen, just jenen Finger, an dem er seinen wuchtigen Wappenring trug, ein Wappen, das aussah wie ein Insekt. Er sprach in jener gutturalen Stimme gewisser Preußen, die aus einem Kamin eher als aus einer Kehle zu kommen scheint und auch das Bedeutende hohl macht, das sie manchmal äußern.
    Und just dieser Mann gefiel meiner lieben alten Mutter. »Charmant!« nannte sie ihn.

XXVIII
    Er bestach auch mich allmählich und ohne daß ich es zuerst merken konnte. Ich brauchte ihn, ich brauchte ihn einfach meiner Mutter wegen. Er stellte die Verbindung her zwischen unserem Haus und Elisabeth. Auf die Dauer konnte ich nicht zwischen beiden Frauen stehen und selbst zwischen dreien, wenn ich die Frau Professor mitrechnete. Seitdem Herr von Stettenheim die überraschende Zuneigung meiner Mutter gefunden hatte, kam Elisabeth zuweilen in unser Haus. Meine Mutter hatte nur angedeutet, daß sie die Frau Professor nicht zu sehen wünschte. Übrigens entfernte sie sich zusehends von Elisabeth. Auch dies war zum Teil ein Verdienst des Herrn von Stettenheim, und auch dadurch bestach er mich. Ich gewöhnte mich an seine unerwarteten Allüren (sie erschreckten mich immer seltener), an seine Rede, die immer um zwei, drei Stärken lauter war, als es der Raum erforderte, in dem er gerade sprach. Es war, als wüßte er überhaupt nicht, daß es kleine und größere Räume gibt, ein Zimmer und eine Bahnhofshalle zum Beispiel. Im Salon meiner Mutter sprach er mit jener um ein paar Grade zu hastigen Stimme, mit der manche einfachen Menschen zu telephonieren pflegen. Auf der Straße schrie er geradezu. Und da er nur inhaltslose Redensarten gebrauchte, klangen sie noch einmal so laut. Lange Zeit wunderte ich mich darüber, daß meine Mutter, der jeder stärkere Ton, jedes überflüssige Geräusch, jede Straßenmusik und sogar Konzerte im Freien körperliche Schmerzen verursachten, die Stimme des Herrn von Stettenheim ertragen und sogar charmant finden konnte. Erst ein paar

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