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Die Kapuzinergruft

Die Kapuzinergruft

Titel: Die Kapuzinergruft Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joseph Roth
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alle, wenn er plötzlich im Kaffeehaus erschien. Außerdem hatte er die Gewohnheit, jede Woche mit einer anderen Frau zu kommen. Er griff sie überall auf, alle Sorten: Tänzerinnen, Kassiererinnen, Näherinnen, Modistinnen, Köchinnen. Er machte Ausflüge, kaufte Anzüge, spielte Tennis, ritt im Prater. Eines Abends trat er mir aus unserem Haustor entgegen, gerade als ich heimkehren wollte. Er schien es eilig zu haben, der Wagen wartete auf ihn. »Ich muss fort!« sagte er und warf sich in den Wagen.
    Elisabeth saß bei meiner Mutter. Offenbar war sie mit dem Herrn von Stettenheim zusammen hierhergekommen. In unserer Wohnung spürte ich etwas Fremdes, es war wie ein außergewöhnlicher, ungewöhnlicher Geruch. Hier mußte etwas Unerwartetes passiert sein, während meiner Abwesenheit. Die Frauen sprachen miteinander, als ich ins Zimmer trat, aber es war jene Art erzwungener Unterhaltung, der ich sofort anmerkte, dass sie nur zu meiner Irreführung bestimmt war.
    »Ich bin Herrn von Stettenheim vor dem Haustor begegnet«, begann ich. – »Ja«, sagte Elisabeth, »er hat mich hierher begleitet. Er war eine Viertelstunde mit uns.« – »Er hat Sorgen, der Arme!« sagte meine Mutter. – »Er braucht Geld?« fragte ich. – »Das ist es!« antwortete Elisabeth. »Es hat heute Krach bei uns gegeben! Um dir's gleich zu sagen: Die Jolanth hat Geld verlangt. Man hat's ihr geben müssen. Es ist das erstemal, daß sie Geld verlangt hat. Sie läßt sich nämlich scheiden. Stettenheim braucht es dringend, dieses Geld. Mein Vater hat in diesen Tagen Zahlungen, sagt er. Ich habe Stettenheim hierher begleitet.« – »Meine Mutter hat ihm Geld gegeben?« – »Ja!« – »Bargeld?« – »Einen Scheck!« – »Wie hoch?« – »Zehntausend!« Ich wußte, daß meine Mutter nur noch wertlos werdende, immer wertloser werdende fünfzigtausend Kronen bei der Bank Efrussi liegen hatte, laut Bericht des »Juden«.
    Ich begann, was ich noch niemals früher gewagt hatte, auf und ab durchs Zimmer zu wandeln, vor den strengen und erschrockenen Augen meiner Mutter. Zum erstenmal in meinem Leben wagte ich, in ihrer Anwesenheit meine Stimme zu erheben. Ich schrie beinahe. Jedenfalls war ich heftig. Mein ganzer, lang aufgesparter Groll gegen Stettenheim, gegen Jolanth, gegen meinen Schwiegervater überwältigte mich; er – und auch der Groll gegen meine eigene Bestechlichkeit. Auch Groll gegen meine Mutter mischte sich darein, Eifersucht auf Stettenheim. Zum erstenmal wagte ich vor meiner Mutter einen verpönten und lediglich im Kasino beheimateten Ausdruck: »Der Saupreuß«, sagte ich. Ich erschrak selbst darüber.
    Ich erlaubte mir noch mehr: Ich verbot meiner Mutter, noch einmal Schecks ohne meine Einwilligung auszustellen. Ich verbot auch in einem Atem Elisabeth, noch einmal meiner armen Mutter irgendwelche Leute, die Geld brauchten, zuzuführen; »Irgendwelche dahergelaufenen Leute«, sagte ich wörtlich. Und da ich mich selbst kannte und sehr wohl wußte, daß ich nur ein paarmal in drei Jahren imstande wäre, meinen Willen, meine Abscheu, ja meine aufrichtige Meinung über Menschen und Zustände zu zeigen, versetzte ich mich bewußt in eine noch größere Rage. Ich schrie: »Auch die Professorin will ich nicht mehr sehn!« Und: »Vom Kunstgewerbe will ich nichts mehr wissen. Um alles zu ordnen, Elisabeth! Du ziehst hierher, mit mir.«
    Meine Mutter sah mich aus ihren großen, traurigen Augen an. Offenbar war sie über meinen plötzlichen Ausbruch ebenso erschrocken wie erfreut. »Sein Vater war auch so!« sagte sie zu Elisabeth. Heute glaube ich es auch, es ist möglich, daß damals mein Vater aus mir sprach. Ich hatte das Bedürfnis, das Haus zu verlassen.
    »Sein Vater«, sprach meine Mutter weiter, »war manchmal wie ein Gewitter. Er hat so viel Teller zerbrochen! So viel Teller, wenn er böse war!« – Sie breitete beide Arme aus, um Elisabeth eine Vorstellung von der Anzahl der Teller zu geben, die mein Vater zerbrochen hatte. »Jedes halbe Jahr!« sagte meine Mutter. »Es war eine Krankheit, besonders im Sommer; wenn wir nach Ischl gingen und man die Koffer packte. Das konnte er nicht leiden. Der Bub auch nicht«, fügte sie hinzu, obwohl sie mich noch niemals in einer Zeit beobachtet hatte, in der Koffer gepackt zu werden pflegen.
    Ich hätte sie in die Arme nehmen mögen, die arme, alte, langsam ertaubende Frau. Es war gut so. Sie vernahm nicht mehr die Geräusche der Gegenwart. Sie hörte jene der Vergangenheit, die

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