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Die Kapuzinergruft

Die Kapuzinergruft

Titel: Die Kapuzinergruft Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joseph Roth
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zerschmetterten Teller meines erbosten Vaters zum Beispiel. Sie begann auch, wie es oft bei schwerhörig werdenden, älteren Menschen vorzukommen pflegt, das Gedächtnis zu verlieren. Und es war gut so! Wie wohltätig ist die Natur! Die Gebrechen, die sie dem Alter schenkt, sind eine Gnade. Vergessen schenkt sie uns, Taubheit und schwache Augen, wenn wir alt werden; ein bißchen Verwirrung auch, kurz vor dem Tode. Die Schatten, die er vorausschickt, sind kühl und wohltätig.

XXIX
    Mein Schwiegervater hatte, wie viele Menschen seiner Art, auf den Sturz des französischen Franken spekuliert. Es war eine falsche Spekulation. Von den »vielen Eisen im Feuer« blieb ihm kein einziges mehr. Auch die »Jolan-Werkstätte« brachte gar nichts ein. Vergeblich war das ganze zitronengelbe Mobiliar. Umsonst die Entwürfe der Frau Professor Jolanth Szatmary. Nichts galten mehr die unverständlichen Zeichnungen meiner Frau Elisabeth.
    Mein stets behender Schwiegervater verlor sein Interesse am Kunstgewerbe. Er wandte sich plötzlich dem Zeitungsbetrieb zu; »Zeitungswesen« fing man damals nach deutschem Muster in Österreich zu sagen an. Er beteiligte sich an der sogenannten Montags-Zeitung. Auch dort wollte er mich »mit hineinnehmen«. Er gab Börsentips, wie man sagt. Er verdiente dabei. Von unserem Haus blieb uns, nach Abzug der Hypotheken, kaum noch ein Drittel. Und als man das neue Geld einführte, erwies es sich, daß von dem Guthaben meiner Mutter in der Bank Efrussi kaum ein paar tausend Schilling verblieben waren.
    Als erster verschwand der Herr von Stettenheim aus unserer Welt. Er »machte sich aus dem Staube«, eine Wendung, die er selbst so oft und gerne angewendet hatte. Er schrieb nicht einmal einen Abschiedsbrief. Er telegraphierte nur: »Dringendes Rendezvous. Kehre wieder! Stettenheim.« Die Frau Professor Jolanth Szatmary hielt am längsten aus. Seit Wochen schon war das famose Atelier mit den zitronengelben Möbeln vermietet an die Irak GmbH, die mit persischen Teppichen handelte. Seit Wochen schon war mein Schwiegervater im Begriff, sein Haus an die Gemeinde Wien zu verkaufen. Die halbe Welt hatte sich verändert, aber die Frau Jolanth Szatmary blieb, wo sie gewesen war: im Hotel Regina. Sie war entschlossen, keine einzige ihrer Gewohnheiten, Sitten und Gebräuche aufzugeben. Immer noch machte sie Entwürfe. Ihre Scheidung war gelungen: Ihr Mann zahlte ihr monatlich. Oft sprach sie davon, nach San Franzisko zu gehen. Fremde Erdteile lockten sie an. Europa war ihrer Meinung nach »verpatzt«. Aber sie ging nicht. Aber sie wich nicht. Zuweilen erschien sie mir in Schreckträumen. Ja, in Schreckträumen erschien sie mir als eine Art Höllenweib, dazu bestimmt, das Leben Elisabeths und mein eigenes zu vernichten. Warum blieb sie noch immer? Wozu machte sie noch ihre Entwürfe? Weshalb ging Elisabeth regelmäßig jeden Tag zu ihr? Ins Hotel, um sich überflüssige, nicht mehr, niemals mehr zu verwendende Entwürfe abzuholen?
    »Ich bin wie in ein Loch gefallen!« gestand mir Elisabeth eines Tages. »Ich liebe dich!« sagte sie. »Die Frau läßt mich nicht los; ich weiß nicht, was sie treibt.« – »Wir wollen mit meiner Mutter sprechen!« sagte ich. Wir gingen zu mir nach Hause, in unser Haus gingen wir.
    Es war schon spät, aber meine Mutter wachte noch. »Mama«, sagte ich, »ich habe Elisabeth hergebracht.« – »Gut!« sagte meine Mutter, »sie soll nur bleiben!«
    Zum erstenmal schlief ich mit Elisabeth in meinem Zimmer, unter unserm Dach. Es war, als steigerte mein väterliches Haus selbst unsere Liebe, als segnete es sie. Immer werde ich die Erinnerung an diese Nacht behalten, eine wahre Brautnacht, die einzige Brautnacht meines Lebens. »Ich will ein Kind von dir«, sagte Elisabeth, halb schon im Schlaf. Ich hielt es für eine gewöhnliche Zärtlichkeit. Des Morgens aber, als sie erwachte – und sie erwachte zuerst –, umfing sie meinen Hals, und es war ein sachlicher, fast verletzend sachlicher Ton, in dem sie mir sagte: »Ich bin deine Frau, ich will schwanger von dir sein, ich will von der Jolanth weg, sie ekelt mich, ich will ein Kind.«
    Seit jenem Morgen blieb Elisabeth in unserm Hause. Von der Frau Professor Jolanth Szatmary kam noch ein kurzer Abschiedsbrief. Sie fuhr nicht nach San Franzisko, wie sie gedroht hatte, sondern nach Budapest, wo sie hingehören mochte. – »Wo bleibt denn die Frau Professor Keczkemet?« fragte hie und da meine Mutter. – »In Budapest, Mama!« – »Sie wird

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