Die Kardinälin: Historischer Roman (German Edition)
gestorben, der Antichrist Papst Innozenz VIII . im Juli 1492. Verführt von Ludovico Sforza, bereitete sich der französische König auf einen Einmarsch in Italien vor.
Piero war machtlos gegen die Prophezeiungen des Priors von San Marco. Machtlos – aber nicht ohnmächtig. Im Dezember ließ Piero die Adventspredigten des Dominikaners verbieten. Ein lauter Aufschrei ging durch Florenz. Michelangelo, der auf mein Drängen in den Palazzo zurückgekehrt war, redete lange auf Piero ein. Er war ebenso fasziniert von Savonarola wie Sandro Botticelli.
Als selbst der besonnene Niccolò Machiavelli in der Adventszeit von einem gefährlichen Verlust von Macht und Ansehen der Medici sprach, redete ich mit meinem Bruder. Augustus habe aus dem Beispiel seines Onkels Julius Caesar gelernt: Er vermied dessen autokratischen Führungsstil und trat nicht als Diktator auf, sondern als Princeps, als Erster Mann im Staat. Ich warnte Piero eindringlich davor, aus der res publica, der Republik, eine res populi, eine Sache des Volkes, zu machen. Aber Seine Selbstherrlichkeit, Piero de’ Medici, war unfehlbar – und uneinsichtig. Der Konflikt in der Familie war unvermeidlich.
Mit unseren Cousins Lorenzino und Giannino zerstritt sich Piero, als beide den Namen de’ Medici ablegten, um sich fortan Popolani zu nennen. Aber auch mit Giulio, der jeden Tag aufsässiger wurde, stritt Piero, und mit Gianni in Rom, der offen gegen Entscheidungen seines Bruders als Familienoberhaupt der Medici opponierte. Mit mir lieferte sich Piero ohnehin laute Wortgefechte, weil ich es wagte, ihm zu widersprechen.
Savonarola war ein Heiliger, er lebte wie ein Heiliger und wollte wohl auch wie einer sterben. Sein übertriebenes Fasten, sein unermüdliches Streben nach Vollkommenheit und die ständige Überanstrengung seiner Kräfte schwächten seine Gesundheit. Dennoch setzte er entschlossen, geradezu verbissen, seinen Kreuzzug gegen Stolz, Eitelkeit und Verschwendung fort. Ich besuchte den Frater, um ihn zur Vernunft zu bringen – aber es war, als ob ich zu einem von Fra Angelicos verzückt lächelnden Engeln in den Zellen von San Marco sprach: Er würdigte mich keines Wortes. Und auch Giovanni redete auf ihn ein, aber Fra Girolamo demütigte ihn, verfluchte ihn und warf seinen fassungslosen Freund aus dem Kloster.
Ende April 1493 brachte mir mein Sekretär zwei Briefe in mein Arbeitszimmer. Ich war gerade mit der Niederschrift eines vor wenigen Stunden abgeschlossenen alchemistischen Experimentes beschäftigt und hoffte, der eine Brief sei die lang ersehnte Antwort von Johannes Trithemius, dem Abt des Klosters Sponheim bei Kreuznach, dem größten deutschen Alchemisten, auf meine Frage nach …
Geistesabwesend sah ich auf die Briefe in meiner Hand.
… auf meine Frage nach seiner theologischen Einschätzung, ob das Opus nicht letztlich ein Pakt mit Satan war, der den Adepten mit der gloire immortelle verführte, dem unsterblichen Ruhm …
Dann erkannte ich die vertrauten Siegelabdrücke. Nein, Johann von Trittenheim hatte mir nicht geschrieben. Die Briefe waren von Amerigo aus Barcelona und von Cesare aus Rom.
Ungeduldig riss ich meinem Sekretär die beiden Briefe aus der Hand, zerbrach Amerigos Siegel, entfaltete das Pergament so ungestüm, dass es beinahe zerriss, und begann zu lesen:
»Meine liebe Caterina! Es ist vollbracht: Cristoforo hat es geschafft! Am 15. März 1493 lief er nach acht Monaten mit der Niña und der Pinta wieder im Hafen von Palos ein. Welch ein Empfang für den spanischen Vizekönig der Inseln – hatte doch niemand ernsthaft mit seiner Rückkehr gerechnet! Doch jetzt ist er nicht mehr der unbekannte genuesische Wollhändler Cristoforo Colombo, nicht mehr der abenteuersüchtige Navigator Cristovão Colom, den König João von Portugal »exzentrisch« und »von seiner Idee besessen« nannte, sondern Seine Exzellenz, Don Cristóbal Colón, Vizekönig von Isabels und Fernandos Gnaden, Admiral des Weltmeeres. Und welch ein Abenteuer er zu erzählen hatte, als wir uns in Barcelona trafen: Wie Marco Polo scheint er in Asien gewesen zu sein – aber auf der Westroute!
Aber lass mich von Anfang an berichten! Am 3. August 1492 segelte Don Cristóbal mit drei Karavellen von Palos zu den Kanarischen Inseln, wo er frische Vorräte und Wasser an Bord nahm. Dann stach er Anfang September in Richtung Westen in See – ins Unbekannte!
Wegen der Passatwinde kam Don Cristóbal mit seinen Schiffen schnell voran, und bald waren die Inseln
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