Die Kardinälin: Historischer Roman (German Edition)
Agostinos Einladung. Ich würde wohl dort sein, dachte er. Er ritt zu Agostino, traf den besorgten Gianni und erfuhr, dass ich nicht zum Bankett erschienen war. Wütend war Cesare in den Vatikan zurückgekehrt. Während seines einsamen Nachtmahls hatte er im Notizbuch geblättert und Agostinos Einladung als Markierung zwischen zwei Seiten gelegt. Dann war er schlafen gegangen.
Ich hielt das Notizbuch in den zuckenden Schein der Kerze und sah, welche Seiten Cesare gelesen hatte. »Töte den Drachen!«, las ich Trevisanus’ Worte in meiner eigenen Schrift. »Töte ihn, bevor er sich mit dir vereinigt!«
In der Ferne zerteilte der Donner des nahenden Gewitters die Stille der frühen Morgenstunden. Für einen Augenblick schloss ich die Augen und atmete tief die Nachtluft ein. Ein Windstoß löschte die Kerze auf dem Schreibtisch. Eine Weile saß ich still in der Dunkelheit und starrte auf das Verglimmen des Dochtes. Dann erhob ich mich und fügte mich in das Unvermeidliche. Ich zog das Atlaskleid und das seidene Hemd aus und schlich ins Schlafzimmer.
Cesare lag unter dem seidenen Laken. Ich glitt neben ihn.
Mit einem Seufzer erwachte er.
»Ich habe auf dich gewartet«, beschwerte er sich und setzte sich im Bett auf. »Wo, zum Teufel, warst du?«
Wozu ihn anlügen? Er würde es doch herausfinden: Johannes Burkhard würde sich einen Spaß daraus machen, Cesare einen ausführlichen schriftlichen Bericht zu überreichen, wo ich war. Und wie lange. Und mit wem. »Ich war bei deinem Vater.«
»Hat er dich zum Essen eingeladen?«, fragte Cesare wütend. »Ich nehme an, ihr habt noch mehr getan, als nur zu essen.«
»Wir haben uns unterhalten.«
Schweigend starrte er mich an.
»Dein Vater hat mich gefragt, ob ich dich heiraten würde.«
»Und was hast du ihm geantwortet?«, fragte er.
»Ich habe Nein gesagt.«
»Und …?«, lauerte er.
»Dann hat er mich gefragt, ob ich ihn eines Tages lieben könnte.«
»Und was hast du geantwortet?«, fauchte Cesare unbeherrscht.
In diesem Augenblick fühlte ich mich wie eine Jungfrau, die es in der Drachenhöhle allein und unbewaffnet mit zwei Drachen aufnimmt – mit Vater und Sohn. Ich sah nur einen Ausweg, um zu überleben: Ich musste aus der Höhle entkommen!
»Ich habe gesagt: Ich weiß es nicht!«
»Verdammt!«, explodierte Cesare. Er sprang aus dem Bett, wickelte sich hastig das Laken um die Hüften, griff nach seinem Dolch und stürzte aus dem Schlafzimmer. Die Tür des Arbeitszimmers schlug er hinter sich zu.
Dann war alles still, bis auf das Donnergrollen des Gewitters.
Ich erhob mich vom Bett und trat an das offene Fenster zum Hof. Von unten, aus Rodrigos Schlafzimmer, hörte ich die erregten Stimmen eines Wortgefechtes zwischen Vater und Sohn: Vorwürfe und Drohungen in allen Schattierungen der Eifersucht, des Eigensinns und des Trotzes.
Im Licht der Blitze über dem Horizont öffnete ich meine Reisetruhe, zerrte meinen purpurfarbenen Alchemistentalar und mein Notizbuch aus dem Geheimfach unter dem doppelten Boden und begann mich eilig anzuziehen. Ein seidenes Hemd, lange Hosen, Reitstiefel, eine schwarze Samtjacke. Dann warf ich den Talar über, nahm mein Buch und machte mich auf den Weg.
Am Tor des Vatikans würden die Wachen mich im Zwielicht der Fackeln für einen Kardinal halten, der in den frühen Morgenstunden in seinen Palazzo in der Stadt zurückkehrte. Es hatte zu regnen und zu stürmen begonnen. Bald würde das Gewitter mit Blitz und Donner lostoben. Niemand würde mich aufhalten. In einer halben Stunde konnte ich schon auf dem Weg nach Florenz sein.
»Den Willigen führt das Schicksal, den Unwilligen schleppt es mit sich«, hatte Seneca geschrieben. Ich ging freiwillig, denn die Erde bebte, und der Treibsand, auf dem ich stand, war ins Rutschen gekommen.
»Kampf den Drachen!«, flüsterte ich, als ich lautlos die Tür hinter mir schloss. Meinen Kampf, den ich vor Monaten beendet hatte, würde ich wieder aufnehmen.
Dieses Mal gegen zwei Drachen!
Kapitel 8
Phoenix muss brennen
I st dies das Höllenfeuer?«, hörte ich eine Stimme hinter mir.
Ich schreckte auf. Savonarola hielt den Türgriff noch in der Hand. Hatte Piero ihn gewarnt, hinter der schweren Eichenholztür meines Laboratoriums Deckung zu suchen, falls ich wieder mit Glaskolben und Schürhaken um mich warf?
»Ja, Frater«, antwortete ich und deutete auf die brennende Materie im Alambic. »Das Feuer der Calcinatio ist ein reinigendes Feuer.«
»Darf ich eintreten?«, fragte er.
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