Die Kardinälin: Historischer Roman (German Edition)
geleitete Gianni und mich zurück in den Palazzo. Ich atmete erst wieder, als sich das schwere Bronzetor langsam hinter uns schloss und von Giulio und Michelangelo verriegelt wurde.
Dann schwankte ich, fiel … Gianni fing mich auf, als ich in den Abgrund der Ohnmacht stürzte.
Ich erwachte, als Ginevra ein kühles Tuch auf meine glühende Stirn legte. Sie ist wirklich wunderbar, dachte ich. Ich liege hier und muss mir um nichts in der Welt Gedanken machen, denn Ginevra kümmert sich um alles. Was für ein herrlich unbeschwertes Gefühl! Ich will es noch eine Weile genießen … ein paar Minuten … Aber dann öffnete ich doch die Augen.
Kein Kaminfeuer, nicht einmal eine Kerze brannte, und es war dunkel im Raum. In der Finsternis bemerkte ich, dass ich nicht auf dem Bett in meinem Schlafzimmer, sondern auf dem Teppich in Lorenzos Audienzraum lag.
An den Fenstern erkannte ich im Schein der Fackeln auf der Via Larga Giulio und Michelangelo, die unruhig zur Straße hinuntersahen. Sie flüsterten miteinander und deuteten immer wieder nach unten.
Gianni lief wie gehetzt im dunklen Raum auf und ab. Er hatte die Hände gefaltet und schien zu beten. »Deus meus, ut quid dereliquisti nos?« , betete er: »Mein Gott, warum hast Du uns verlassen?«
O Gianni, dachte ich: Ein wenig mehr Gottvertrauen wäre jetzt angebracht. Er hat mich doch noch nie verlassen. Es macht Ihm viel zu viel Spaß, mit mir zu spielen – oder gegen mich. Wirklich schlimm wird es doch erst, wenn Er das Interesse verliert, weil ich die Todsünde begangen habe, Ihn zu langweilen. Was bei meiner Art zu leben völlig ausgeschlossen ist!
»Sie ist wach«, rief Ginevra, als ich vor Schmerz zusammenzuckte, während sie mit einem Tuch das Blut von meinen aufgerissenen Lippen tupfte.
Gianni unterbrach sein Gebet und kniete sich neben mich.
»Wo ist Piero?«, fragte ich ihn undeutlich. Meine Lippen schmerzten bei jedem Wort.
»Er ist geflohen. Er hat mit Giuliano, Alfonsina und seinen beiden Kindern den Palazzo verlassen, während du mich gerettet hast.«
»Geflohen … wohin?«, fragte ich verwirrt.
»Er wollte nach Venedig, um den Dogen um Hilfe anzuflehen. Er sagte, er würde Florenz zurückerobern. Mit Feuer und Schwert. Von den Franzosen oder den Florentinern, das sei ihm gleichgültig.«
»Wieso seid ihr nicht geflohen?«, fragte ich.
Gianni strich mir über das Haar. »Du warst stundenlang bewusstlos. Du hättest dich nicht auf einem Pferd halten können. Wir wollten dich nicht zurücklassen, Caterina. Wenn wir diesen Palazzo verlassen, wenn wir aus Florenz fliehen, dann tun wir das gemeinsam. Oder gar nicht.«
Ich ließ mich zurücksinken, überwältigt von meinen Gefühlen.
Ginevra ergriff meine Hand. Warum war sie noch hier? Sie hätte doch längst weggehen können …
Giulio kniete sich neben Gianni. »Vor einer Stunde ist Fra Girolamo von der Signoria nach San Marco zurückgekehrt. Das Volk in den Straßen hat ihm zugejubelt wie einem siegreichen Feldherrn. Ich glaube, er hat König Charles eine seiner donnernden Bußpredigten gehalten. Florenz ist gerettet …«
»Wo ist Charles?«, fragte ich.
»In Pisa«, sagte Giulio.
»Ich muss zu ihm!«, murmelte ich und wollte mich erheben. »Wenn Charles mit seinem Heer schon vor den Toren von Florenz steht, gibt es noch Hoffnung. Ich werde zu ihm reiten und mit ihm sprechen …«
»Den Weg kannst du dir sparen«, entgegnete Gianni. »Charles führt keinen Krieg gegen Florenz. Er führt Krieg gegen uns Medici, fühlt sich von uns – und nicht nur von Piero – verraten. Weiß der Himmel, warum! Die Filialen in Lyon und Mailand sind geschlossen, das Vermögen ist konfisziert. Piero ist aus Florenz geflohen. Was glaubst du, was geschieht, wenn du Charles unter die Augen trittst?«
Ich wusste, warum Charles sich verraten fühlte. Florenz hatte trotz unserer Vereinbarung den französischen Truppen getrotzt. Charles wusste, dass Piero gestürzt worden war. Aber nicht ich war zu ihm gekommen, um ihm diese Nachricht zu überbringen und ihm die Unterwerfung anzubieten, sondern Savonarola, der ihm das Strafgericht Gottes androhte, wenn er sein Schwert gegen Florenz erhob. Kein Wunder, wenn Seine Allerchristlichste Majestät zornig war. Gianni hatte Recht: Ein Besuch bei Charles in Pisa war lebensgefährlich.
»Es gibt nur noch eine Möglichkeit: Wir müssen den Palazzo verlassen, bevor er gestürmt wird«, sagte Giulio.
»Wohin können wir denn gehen?«, fragte Michelangelo.
»Nach
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